«Trockene Jahre sind gute Jahre»

Im Gegensatz zu den Gemüsebauern dürfen die Bielerseewinzer zufrieden sein. Den Reben hat die Hitzewelle mehr genützt als geschadet. Ob in den Weinbergen ein Spitzenjahrgang heranwächst, steht allerdings noch nicht fest.

Den Landwirten im Seeland hat die Hitzewelle keine Freude bereitet. Wassermangel, vertrocknetes Gemüse und drohende Ernteausfälle. Bei den Bielersee-Winzern sieht es jedoch ganz anders aus: Das heisse und trockene Wetter hat den Reben keineswegs geschadet. Um Hitzeschäden zu verhindern, war aber eine Reihe von Gegenmassnahmen nötig.
Im Gegensatz zu anderen Kulturen sind die Reben nämlich toleranter in Bezug auf Wassermangel. Ein solcher Sommer wie in diesem Jahr ist für den Rebbau grundsätzlich erfreulich. «Die Pflanzen stehen mehrheitlich gut da und die Entwicklung der Stadien liegt genau im zehnjährigen Mittel und analog dem Vorjahr», sagt Jürg Maurer, Rebbaukommissär beim kantonalen Amt für Landwirtschaft und Natur.
Keine Pilzkrankheiten
«Unseren Reben geht es prächtig», sagt auch Fabian Teutsch, Winzer aus Schafis und Präsident der Rebgesellschaft Bielersee. Wegen der Trockenheit hätten die Gewächse mit keinerlei Pilzkrankheiten wie Mehltau zu kämpfen. An einzelnen Stellen sei das Wachstum hitzebedingt zwar etwas eingeschränkt, aber im Grossen und Ganzen sei man bezüglich der Reife im Zeitplan.
Allfälliger Hitze- oder Trockenstress bei den Reben hängt nicht nur von der Temperatur ab, sondern auch von der Wasserverfügbarkeit. Und diese kann je nach Bodenart stark variieren. So können sandige oder steinige Böden viel weniger Wasser speichern als schwere, tonhaltige Böden. Ebenfalls eine Rolle spielt die Tiefgründigkeit eines Bodens. So sind Parzellen mit einem Bodenhorizont von nur 50 Zentimeter anfälliger auf Austrocknung als tiefgründige Böden. In Ligerz, nahe der Kirche reicht der Boden stellenweise nur 50 bis 80 Zentimeter in die Tiefe, darunter liegt blanker Fels. «Weil dort der Boden schnell trocken wird, ist eine gute Bewässerung unerlässlich», so Teutsch.
Wasser aus dem Bielersee
Eine gute und rechtzeitige Wasserversorgung ist das A und O in solchen Situationen. Vor allem auf leichten Böden oder Parzellen mit jungen Reben. Die Jungreben haben noch kein sehr ausgeprägtes Wurzelwerk und leiden darum sehr schnell unter Trockenheit. Werden bei diesen Bedingungen die Jungreben nicht gewässert, so gehen sie ein. «Weil die Jungreben bei der Hitze doch etwas gelitten haben, mussten wir sie bereits zweimal wässern», sagt Fabian Teutsch.
Das Wässern ist sehr zeitaufwendig, da in den Rebbergen meistens keine Wasseranschlüsse vorhanden sind. Das Wasser wird mit Schlauchleitungen herangeführt oder man nimmt das Sprühgerät und füllt den Tank mit Wasser und geht von Stock zu Stock und verabreicht fünf bis sieben Liter Wasser pro Rebe. Die beste Technik ist jedoch die Tröpfchenbewässerung. Jede Reihe wird mit dem Tröpfchenschlauch ausgerüstet und bei Bedarf wird Wasser gegeben. Die Anschaffung lohnt sich nur in den Trockengebieten und es braucht in der Nähe eine bestehende Wasserleitung mit genügend Druck.
In Schafis setzt man sowohl auf Tröpfchenbewässerung als auch auf einen sogenannten Beregner: Eine bestimmte Parzelle wird während sechs bis acht Stunden intensiv bewässert. Das entspricht in etwa einer Regenmenge von etwa 30 Milimetern.
Wasser ist am linken Bielerseeufer derzeit ein knappes Gut: Wegen den Arbeiten am Sicherheitsstollen Ligerz ist eine wichtige Pumpstation ausgefallen. Die Bevölkerung von Twann, Tüscherz und Ligerz muss ihren Wasserverbrauch deswegen massiv einschränken (das BT berichtete). Bringt das auch die Winzer in Bedrängnis? «Nein», sagt Fabian Teutsch, «uns ist es gestattet, unsere Reben mit Wasser aus dem Bielersee zu bewässern.»
Schwierige Prognose
Wird 2015 ein guter Jahrgang? Lässt sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine zuverlässige Prognose erstellen? «Solche Voraussagen sind sehr schwierig», sagt Fabian Teutsch, «aber tendenziell trockene Jahre sind erfahrungsgemäss gute Jahre.» Die Voraussetzungen seien sicher gut, da die Böden vom nassen Wetter im Frühling profitiert hätten. Entscheidend sei jetzt aber die im August beginnende Reifephase. Ideal wären trockene Tage und kühle Nächte.
Auch 2003 gab es einen Hitzesommer mit Rekordtemperaturen. Lässt sich das mit der jetzigen Situation vergleichen? «2003 hat man teilweise zu spät gelesen. Die Zuckergehalte waren enorm hoch aber die Säurewerte zu tief. Diese Weine waren nicht so gut lagerbar», sagt Werner Siegfried, Leiter Fachgruppe Weinbau vom landwirtschaftlichen Forschungszentrum Agroscope. «Sollte sich das 2015 wiederholen, so wird man vielmehr das Augenmerk auf die Säure legen müssen. In etwa drei Wochen beginnen wir mit den ersten Reifemessungen bei den Hauptsorten.»
Jürg Maurer mahnt bei solchen Vergleichen zur Vorsicht: «Jedes Jahr hat seine spezifischen Eigenheiten. Im Gegensatz zu 2003 hatten wir bis Mitte Juni eine sehr gute Wasserversorgung. Der Grundwasserspiegel war hoch und die Böden waren sehr gut mit Wasser gesättigt. Während dieser Phase konnten die Reben also sehr gut wachsen und sich entwickeln.»
Bald Syrah und Cabernet?
Hitzewellen dürften aufgrund des Klimawandels in Zukunft noch häufiger werden. Deshalb sei es für die Landwirte unumgänglich, sich anzupassen, liess Agroscope letzte Woche verlauten. Das betrifft auch die Winzer. «Die Klimaerwärmung der letzten Jahre ist für viele Rebbaugebiete, vor allem in der Deutschschweiz, auch eine grosse Chance», sagt Werner Siegfried, «Wir können spätreifende Sorten wie beispielsweise Merlot anpflanzen und erreichen mit diesen Weinen Spitzenresultate.» Auch die Pinot Noir-Traube  – eine der wichtigsten Sorten am Bielersee – habe bis jetzt nur profitiert von der Klimaerwärmung. «Die Zuckergehalte sind eindeutig gestiegen, die Weine sind gehaltvoller und farbintensiver geworden», so Siegfried.
Herrschen am Bielersee möglicherweise bald kalifornische Verhältnisse? Solche Überlegungen sind Fabian Teutsch jedenfalls nicht fremd: «Wer weiss, sollte es in Zukunft immer so heiss werden, pflanzen wir vielleicht wirklich einmal Syrah oder Cabernet Sauvignon an.»

(Bieler Tagblatt, 28.07.15)