«Nahe an der Hexerei»

Wei­ne aus bio­lo­gisch-dyna­mi­schem Anbau erle­ben der­zeit einen regel­rech­ten Boom. Doch Win­zer, die auf die­se Wei­se pro­du­zie­ren, sind auf­grund ihrer Metho­den nicht sel­ten als eso­te­ri­sche Schar­la­ta­ne ver­schrien. Ist das am Bie­ler­see auch so?

Phi­lo­so­phie und Wein sind so leicht nicht zu tren­nen. Schon Sokra­tes dis­ku­tier­te mit sei­nen Zeit­ge­nos­sen auf Stras­sen, Plät­zen und bei Sym­po­si­en, stets in Beglei­tung eines guten Trop­fen Weins. Auch Imma­nu­el Kant war ein pas­sio­nier­ter Wein­trin­ker. Als der­je­ni­ge, der in nie zuvor dage­we­se­nem Aus­mass dar­über nach­ge­dacht hat, was man über­haupt wis­sen kann, hät­te er es wohl nicht für mög­lich gehal­ten, dass der phi­lo­so­phi­sche Dis­kurs eines Tages in die Wein­welt Ein­zug hal­ten wür­de. Was kann ich wis­sen? Was kann ich glau­ben? – Was hat das denn mit Wein zu tun?

Ver­ständ­li­cher wird das viel­leicht, wenn man einen bestimm­ten Typus von Win­zern betrach­tet. Win­zer, die mit Mist gefüll­te Kuh­hör­ner in der Erde ver­gra­ben, um sie sechs Mona­te spä­ter wie­der aus­zu­bud­deln und ein kon­zen­trier­tes Dün­ge­prä­pa­rat zu ern­ten. Win­zer, die ihre Arbeit im Wein­berg nach den Mond­pha­sen und den Gestir­nen aus­rich­ten. Win­zer, die ihre Reben mit Kräu­ter­auf­güs­sen stär­ken, die sie mit kos­mi­scher Ener­gie auf­ge­la­den haben. Das sind Win­zer, die bio­lo­gisch-dyna­mi­schen Wein­bau betreiben.

Alles nur Humbug?

Für Her­mann Pilz, Chef­re­dak­tor der deut­schen Fach­zeit­schrift «Wein­wirt­schaft», sind da nichts wei­ter als Sek­tie­rer, Geis­ter­be­schwö­rer und Schar­la­ta­ne am Werk. In einem Arti­kel äus­ser­te er letz­tes Jahr dras­ti­sche Kri­tik am bio­dy­na­mi­schen Wein­bau: «Wenn jemand allen Erns­tes erklärt, dass er Horn­kie­sel und Horn­mist mit einem Rei­sig­be­sen in höl­zer­nen Gebin­den in lau­war­mem Was­ser erst eine Minu­te in die eine und dann exakt die glei­che Zeit in die ande­re schla­gen muss, damit sich das Was­ser, das anschlies­send auf die Reben gesprüht wird, dyna­mi­siert, dann sind für mich die Gren­zen zur Schar­la­ta­ne­rie und Geis­ter­be­schwö­rung, zum Glau­ben an okkul­te Kräf­te, Magie und Zau­be­rei, überschritten.»

Die­se Kri­tik ist hef­tig. Doch ist sie auch ange­mes­sen? Unum­strit­ten ist der bio­dy­na­mi­sche Wein­bau tat­säch­lich nicht. Die Grund­la­gen die­ser Metho­de gehen auf den öster­rei­chi­schen Antro­po­so­phen Rudolf Stei­ner zurück. Grund­la­ge des bio­lo­gisch-dyna­mi­schen Land­baus ist der «Kreis­lauf­ge­dan­ke», bei dem der land­wirt­schaft­li­che Betrieb als Orga­nis­mus ange­se­hen wird.

Die­ses Kon­zept gleicht der – nicht weni­ger umstrit­te­nen – Homöo­pa­thie im Bereich der Medi­zin, die dem Kör­per kei­ne direk­te Hil­fe, son­dern Hil­fe zur Selbst­hil­fe geben will. Ent­spre­chend soll der Boden mit Kom­post revi­ta­li­siert und mit Mine­ra­li­en behan­delt wer­den, damit er wie­der zum Lebens­raum viel­fäl­ti­ger Mikro­or­ga­nis­men wird und sich ein natür­li­ches Gleich­ge­wicht ein­stellt. Als Dün­ge­mit­tel spielt das Horn von Rin­dern eine wich­ti­ge Rol­le, das in Ver­bin­dung mit ande­ren Stof­fen wie Kuh­dung oder Quarz­staub in homöo­pa­thi­schen Dosen ver­wen­det wird. Kräu­ter­auf­güs­se wer­den eben­falls als sehr posi­tiv für die Rebe betrach­tet. Aber auch kos­mi­sche Kräf­te wie die Mond­pha­sen und auch ande­re Gestirns-Kon­stel­la­tio­nen gilt es zu berück­sich­ti­gen. Spe­zi­ell jene des Mon­des beein­flus­sen gemäss Bio­dy­na­mik-Leh­re mass­geb­lich die Ent­wick­lung der Pflanzen.

«Näher an der Natur»

Wie aber den­ken Win­zer am Bie­ler­see über die­se Art des Wein­baus? Gilt der bio­dy­na­mi­sche Win­zer gleich als eso­te­ri­scher Spin­ner? «Als tota­ler Spin­ner galt man viel­leicht vor 25 Jah­ren. Heu­te ist es ein Trend», sagt der Liger­zer Win­zer Bru­no Mar­tin, der seit 26 Jah­ren unter dem Güte­sie­gel «Bio Suis­se Knos­pe» pro­du­ziert. Mar­tin, der zudem seit drei Jah­ren unter dem bio­dy­na­mi­schen «Demeter»-Label anbaut, kennt den Eso­te­rik-Vor­wurf nur zu gut. Ziem­lich gelas­sen kon­tert er: «Natür­lich ist das nahe an der Hexe­rei. Aber es ist nicht anders, als bei der Alter­na­tiv­me­di­zin: Man muss ein Stück weit ein­fach dar­an glauben.»

Einem Aus­sen­ste­hen­den sei etwa die Aus­rich­tung nach den Mond­pha­sen nur schwer zu erklä­ren. Aber des­we­gen sieht sich Mar­tin noch lan­ge nicht als Astro­lo­ge. Denn trotz des als eso­te­risch ver­schrie­nen Regel­werks steht für ihn fest: Wer bio­dy­na­misch pro­du­ziert, «ist viel näher dran an der Natur». Wer etwa gegen Reb­krank­hei­ten wie Mehl­tau rein syn­the­tisch vor­geht, betreibt aus Sicht des Bio­win­zers bloss Sym­ptom­be­kämp­fung: «Mehl­tau kann man nicht ein­däm­men. Statt­des­sen muss man die Rebe so kul­ti­vie­ren, dass sie einen Mehl­tau-Befall über­steht.» Und die­ser Auf­bau beinhal­tet auch die Pfle­ge des Bodens. Bio­dy­na­mi­sche Pflan­zen­stär­kungs­mit­tel sowie Kom­post-Prä­pa­ra­te kom­men zu ganz bestimm­ten Zei­ten im Wein­berg zum Ein­satz. Die bekann­tes­ten Pro­duk­te sind Horn­mist und Hornkiesel.

Die Pro­du­zen­ten dür­fen aller­dings auch in bestimm­ten Men­gen Kup­fer und Schwe­fel ein­set­zen, um Mehl­tau zu bekämp­fen. Kon­ven­tio­nel­le Agro­che­mi­ka­li­en und Dün­ge­mit­tel sind hin­ge­gen nicht erlaubt. In Bru­no Mar­tins Wein­berg bestehen drei Hekt­are aus robus­ten Hybrid­sor­ten, die über­haupt nicht gespritzt wer­den müs­sen. Denn, wer sich ver­pflich­tet, nach bio­dy­na­mi­schen Richt­li­ni­en anzu­bau­en, pflanzt fast zwangs­läu­fig ande­re Reb­sor­ten an.

Prä­mier­te Weine

Was Bru­no Mar­tin Recht gibt, ist sein Erfolg: Die Qua­li­tät sei­ner Wei­ne wird regel­mäs­sig aus­ge­zeich­net, etwa beim inter­na­tio­na­len Bio­wein­preis 2014, als sein Bar­ri­que «Hof­da­me Clau­dia» AOC von 2012 mit 98 von 100 mög­li­chen Punk­ten bewer­tet wur­de und damit «Gros­ses Gold» gewann.

Ein Exot ist Mar­tin schon lan­ge nicht mehr. Die Domaine de la Roma­née-Con­ti etwa – das berühm­tes­te Wein­gut des Bur­gunds und eines der bes­ten der Welt – pro­du­ziert schon lan­ge nach bio­dy­na­mi­schen Grund­sät­zen. Über die­sen bio­dy­na­misch bewirt­schaf­te­ten Boden sag­te der renom­mier­te fran­zö­si­sche Mikro­bio­lo­ge Clau­de Bour­gu­i­gnon: «Ich kann nicht erklä­ren, wie Bio­dy­na­mik wirkt, ich kann nur durch das stei­gen­de Boden­le­ben in Zah­len bele­gen, dass sie wirkt.»

For­schungs­ar­bei­ten des Schwei­zer For­schungs­in­sti­tuts für bio­lo­gi­schen Land­bau (Fibl) über mehr als 20 Jah­re geben an, dass bei Anwen­dung bio­lo­gisch-dyna­mi­scher eben­so wie orga­nisch-bio­lo­gi­scher Land­wirt­schaft die Frucht­bar­keit des Bodens signi­fi­kant höher war als in der Ver­gleichs­grup­pe mit kon­ven­tio­nel­ler Land­wirt­schaft. Aller­dings fie­len die Erträ­ge im Durch­schnitt auch um 20 Pro­zent ab.

Eine Unter­su­chung der Washing­ton Sta­te Uni­ver­si­ty kommt hin­ge­gen zum Schluss, dass die wis­sen­schaft­li­che Über­prü­fung bio­lo­gisch-dyna­mi­scher Prä­pa­ra­te nur begrenzt mög­lich ist. Es gebe kei­ner­lei Hin­wei­se dar­auf, dass die Zuset­zung die­ser Prä­pa­ra­te die Pflan­zen- oder Boden­qua­li­tät in öko­lo­gisch bebau­ten Gebie­ten verbessert.

Finan­zi­el­les Risiko

Bio­dy­na­mi­scher Wein­bau bleibt umstrit­ten. Unbe­strit­ten ist jedoch, dass auf die­se Wei­se pro­du­zier­te Wei­ne in den letz­ten Jah­ren einen regel­rech­ten Boom erlebt haben. Für Bru­no Mar­tin ist das aber nicht nur ein Grund zur Freu­de. «Es gibt Win­zer, die auf eini­gen Par­zel­len nach bio­dy­na­mi­scher Metho­de expe­ri­men­tie­ren und dann damit wer­ben.» Das sei zwar begrüs­sens­wert, habe aber oft auch mit Mar­ke­ting zu tun. Es sei hin­ge­gen eine ganz ande­re Sache, sich ver­trag­lich zu ver­pflich­ten und den gan­zen Betrieb auf Bio­dy­na­mie umzustellen.

Wie erstre­bens­wert ist es, sei­nen Wein nach bio­dy­na­mi­schen Richt­li­ni­en zu pro­du­zie­ren? «Das ist jedem selbst über­las­sen», sagt Fabi­an Teutsch, Win­zer aus Scha­fis und Prä­si­dent der Reb­ge­sell-schaft Bie­ler­see, «wir sind aller­dings dage­gen, wenn jemand ohne öko­lo­gi­schen Leis­tungs­nach­weis arbeitet.»

Auch Beat Burk­hardt vom Liger­zer Wein­gut Bie­ler­haus begrüsst die Grund­sät­ze der bio­dy­na­mi­schen Metho­de: «Ich fin­de es grund­sätz­lich immer gut, wenn man zurück zur Natur will.» Wie man es mit den anthro­po­so­phi­schen Leh­ren der Bio­dy­na­mie hält, sei letz­ten Endes aber eine Glau­bens­fra­ge. Burk­hardt weist dar­auf hin, dass mit bio­dy­na­mi­schem Arbei­ten auch ein erheb­li­cher Mehr­auf­wand ver­bun­den sei. Weil der Ein­satz syn­the­ti­scher Sub­stan­zen ver­bo­ten ist, muss man die Reben viel häu­fi­ger sprit­zen, etwa mit Kup­fer­prä­pa­ra­ten. «Die Rebe muss man kul­ti­vie­ren. Die kann man nicht ein­fach wach­sen las­sen.» Dazu kom­me das finan­zi­el­le Risi­ko, denn in den ers­ten Jah­ren kommt es häu­fig zu Ern­te­ein­brü­chen, Fehl­ent­wick­lun­gen und Krank­hei­ten. Ein bes­tens bewähr­tes und den Pflan­zen ver­trau­tes Sys­tem wird auf­ge­ge­ben und durch ein neu­es Sys­tem ersetzt. Das birgt Risi­ken. Bru­no Mar­tin ist die­ses Risi­ko ein­ge­gan­gen und ist heu­te mehr denn je über­zeugt, dass die Zukunft im Wein­bau sei­ner Metho­de gehört.

 

(Bie­ler Tag­blatt, 08.03.2016)