Klasse statt Masse

Seit 2016 führt Jung­win­zer Chris­ti­an Dexl eines der kleins­ten Wein­gü­ter am Bie­ler­see. Die Wei­ne aus dem «Kel­ler am See» wer­den aus­schliess­lich bio­dy­na­misch pro­du­ziert und las­sen Gros­ses erahnen.

Nico­las Bollinger

Es war eine Wach­ab­lö­sung der eher stil­len Art. Ende let­zen Jah­res schloss der Wein­bau­be­trieb von Ire­ne Roth und Chris­toph Cam­pi­che unwi­der­ruf­lich sei­ne Tore. Doch an dem Punkt, wo Roth und Cam­pi­che das Win­zer­da­sein zuguns­ten ihres wohl­ver­dien­ten Ruhe­stands auf­ga­ben, trat der 35-jäh­ri­ge Chris­ti­an Dexl auf den Plan. «Kel­ler am See» heisst das Wein­gut nun, das klingt unschein­bar, und ist es auch: Der Betrieb liegt in Bip­schal, einem male­ri­schen Wei­ler zwi­schen Twann und Ligerz; und wer ihn ansteu­ert, könn­te glatt dar­an vor­bei­ge­hen, denn der Blick ver­liert sich in den Wei­ten des Bie­ler­sees oder den schroff und steil in den Him­mel ragen­den Reb­hän­gen. Auf 1,5 Hektaren gedei­hen hier fünf ver­schie­de­ne Reb­sor­ten – Chas­se­las, Sau­vi­gnon blanc, Pinot gris, Pinot noir und Syrah – ver­teilt auf unter­schied­lichs­te Par­zel­len in teils stark abfal­len­dem Gelände.

Kein Massenwein

«Wein hat mich schon immer fas­zi­niert», sagt Dexl, der, als er beruf­lich noch über­haupt nichts damit zu tun hat­te, sich schon mit der pri­va­ten Kul­ti­vie­rung eini­ger weni­ger Reb­stö­cke beschäf­tig­te. Über sein Stu­di­um zum Umwelt­in­ge­nieur kam der gelern­te Elek­tro­me­cha­ni­ker schliess­lich mit dem Wein­bau in Kon­takt. Bei zahl­rei­chen Umwelt­pro­jek­ten im In- und Aus­land gewann er einen immer grös­se­ren Ein­blick in die Zusam­men­hän­ge, Ein­flüs­se und Pro­zes­se der Natur. Das habe auch sei­ne Sicht auf den Wein mass­geb­lich ver­än­dert. So sehr, dass sich Dexl dazu ent­schloss, wäh­rend eines Jah­res beim Scha­fi­ser Win­zer Johan­nes Lou­is das Hand­werk näher ken­nen­zu­ler­nen. «Vom Umwelt­in­ge­nieur zur Aus­hil­fe in den Reben, das hät­te man als beruf­li­chen Rück­schritt bezeich­nen kön­nen», sagt er lachend, «doch als das Jahr zu Ende war, habe ich gleich noch eins dar­an gehängt.» Nach zwei lehr­rei­chen Jah­ren kamen die eige­nen Ideen. «Ich frag­te mich zuse­hends: Wie wür­de ich das machen? Ins­be­son­de­re unter dem Umweltaspekt.»

2011 fäll­te er die Ent­schei­dung, sich voll und ganz dem Wein zu wid­men: Nach einer Wei­ter­bil­dung in Oeno­lo­gie in Chan­gins folg­ten ver­schie­de­ne Sta­tio­nen als Wine­ma­ker in der Schweiz und in Süd­afri­ka, wo er sein Wis­sen erwei­tern und ver­tie­fen konn­te, stets davon ange­trie­ben, irgend­wann etwas Eige­nes zu star­ten. Dafür hat sich Chris­ti­an Dexl sogar im Langue­doc in Süd­frank­reich umge­schaut. Doch obwohl man dort ein Châ­teau zum Schleu­der­preis hät­te erwer­ben kön­nen, ent­schied er sich dage­gen. «Ich hät­te dort ein­fach nicht so Wein machen kön­nen, wie ich mir es vor­stel­le», sag­te er und meint damit, dass er zum Über­le­ben wohl dazu gezwun­gen gewe­sen wäre, Mas­sen­wein zu pro­du­zie­ren. «Der Markt für bio­lo­gisch-öko­lo­gi­sche Erzeug­nis­se ist hier.» Als er dann erfuhr, dass Roth und Cam­pi­che einen Nach­fol­ger such­ten, war dann ziem­lich schnell klar, dass er an den Bie­ler­see zurück­keh­ren würde.

Viel Zeit und Zuwendung

Dass er der­einst bio­dy­na­misch pro­du­zie­ren wür­de, stand für Dexl schon immer fest, nicht zuletzt des­we­gen, weil in sei­ner Fami­lie bio­lo­gisch-nach­hal­ti­ger Kon­sum stets eine wich­ti­ge Rol­le gespielt habe. Und so wird bei «Kel­ler am See» sowohl im Reb­berg als auch im Kel­ler seit Anfang an nach den Richt­li­ni­en von Bio­Su­is­se und Deme­ter gewirt­schaf­tet. In der Pra­xis bedeu­tet das den gänz­li­chen Ver­zicht auf che­misch-syn­the­ti­sche Pflan­zen­schutz­mit­tel, Her­bi­zi­de und Kunst­dün­ger. Statt­des­sen wird mit bio­dy­na­mi­schen Prä­pa­ra­ten, wie Horn­mist und Horn­kie­sel gear­bei­tet, wel­che den Pflan­zen Wirk­stof­fe aus ihrer Umge­bung zulie­fern. Weil aber ein ein­fa­ches Weg­las­sen von Che­mie im hie­si­gen Kli­ma nicht aus­reicht, wer­den gegen Schäd­lin­ge und Krank­hei­ten ver­schie­de­ne Aus­zü­ge aus Pflan­zen, Mol­ke, äthe­ri­sche Öle oder natür­li­che Ele­men­te wie Schwe­fel und Kup­fer in homöo­pa­thi­schen Dosen ver­wen­det. So sor­gen etwa die äthe­ri­schen Öle des Laven­dels dafür, dass sich uner­wünsch­te Insek­ten vom Reb­berg fern­hal­ten. Eine wich­ti­ge Rol­le spielt zudem eine reich­hal­ti­ge Bio­di­ver­si­tät: Struk­tu­ren wie Tro­cken­mau­ern, Stein­hau­fen, Hecken, Bäu­me und eine viel­fäl­ti­ge Begrü­nung för­dern Nütz­lin­ge und Wild­tie­re. Natür­lich erfor­dert das sehr viel Zeit und Zuwen­dung, doch für Dexl steht aus­ser Zwei­fel: «Davon pro­fi­tiert das gesam­te Öko­sys­tem im Wein­berg – und schliess­lich kommt das auch dem Wein zugute.»

Link: www.kelleramsee.ch

 

«Keller am See»: Notizen aus der Degustation

 

  • Chas­se­las 2016

Das Trau­ben­gut wur­de vor der Pres­sung nicht ent­rappt (Ganz­trau­ben­pres­sung), d.h. die Ker­ne blei­ben intakt, was den Wein fili­gra­ner und mine­ra­li­scher macht und mehr Säu­re, Fri­sche und Frucht bringt. Blas­ses Zitro­nen­gelb, schö­nes Blü­ten­bou­quet, fei­ne Hefen­ote und leich­te Sal­zig­keit. Am Gau­men sorten­ty­pi­sche Aro­men von Zitrus­früch­ten, mitt­le­re Säu­re, aus­ge­wo­gen. Trinkt sich sehr gut, per­fek­ter Apérowein.

  • Sau­vi­gnon blanc 2016

Kur­ze Mai­sche­stand­zeit von zwei Stun­den. In der Nase enorm inten­si­ve Frucht, den­noch nicht zu mäch­tig; sau­ber, kna­ckig, erfri­schend. Am Gau­men deut­lich mehr Säu­re als der Chas­se­las, im Gegen­satz zu vie­len Sau­vi­gnon blancs ohne Rest­zu­cker; wür­zig, inten­siv nach grü­nen Früch­ten, Pfir­sich, exo­tisch: Pas­si­ons­frucht, dann kom­men pflanz­li­che Noten hin­zu – Sta­chel­bee­ren, Holun­der­blü­te, gra­sig, schön saf­tig – mitt­le­rer Kör­per, lan­ger, aro­ma­ti­scher Abgang. Wun­der­bar zu Fisch und Spargeln.

  • Pinot noir 2016

Dunk­les Rubin­rot, tief, nicht fil­triert, Nase: Erd­bee­ren, Johan­nis­bee­ren, Cas­sis, aber auch kräf­ti­ge Röst­no­ten. Am Gau­men aus­ge­präg­te Rot­frucht­aro­men, aber weit weg von süss­lich-
beer­ig, Anflü­ge von getoas­te­tem Brot, Rauch, Kaf­fee, kraft­vol­le Tan­ni­ne, aber schon gut ein­ge­bun­den, inten­siv, kom­plex, super Balan­ce. Die­ses Biest hat Power – ein wirk­lich gross­ar­ti­ger Pinot noir, der in sei­ner Sti­lis­tik eher an einen Bur­gun­der erin­nert als an einen durch­schnitt­li­chen Schwei­zer Easy-drinking-Pinot.

Noch nicht erhält­lich sind der 2016er Syrah und Pinot gris; letz­te­rer wird in Aka­zi­en­holz aus­ge­baut und ver­spricht ein schwe­rer Wein mit aus­ge­präg­ten Honig­no­ten zu wer­den. nbo

(Bie­ler Tag­blatt, 23.05.2017)