«Jung, wild und frisch»

An den Tagen der offenen Weinkeller präsentieren die Bielersee-Weinbauern ihre neusten Kreationen. Dabei machen insbesondere die innovativen Jungwinzer von sich reden.

Nicolas Bollinger

Es hat etwas Befremdliches: Fast egal, wohin man blickt, sei es Graubünden, Wallis oder die Ostschweiz, haben die Winzer zurzeit unter den katastrophalen Folgen des Wetters zu leiden; die klirrende Kälte mancher Nächte hat nicht selten einen Grossteil des Traubenbestands zerstört. Der Bielersee gehört zu den wenigen Regionen, die davon weitestgehend verschont geblieben sind. Und so freut man sich während dieser Tage über den Weinjahrgang 2016, der im Rahmen der heute endenden Tage der offenen Weinkeller vorgestellt wird.

Sortentypische Weine

Wie zu erwarten war, präsentieren sich die 16er-Weine weitaus weniger opulent und alkohollastig als im Vorjahr, sondern fruchtig-frisch mit einer schönen sortentypischen Aromatik. Das ist nicht selbstverständlich, waren die Trauben zu Beginn des vergangenen Jahres doch genauso der Frostgefahr ausgesetzt. «Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen», sagt der Winzer Martin Hubacher vom Twanner Weingut «Johanniterkeller». Als auf den kalten Frühling noch der extrem verregnete Juni folgte, habe er wirklich Angst gehabt. Dank des heissen, trockenen Spätsommers konnte letztlich eine respektable Menge Traubengut von perfekter Qualität eingekellert werden.

Und wie machen sich die Wetterkapriolen des vergangenen Jahres im Wein bemerkbar? Die im August und September einsetzende Trockenheit hat den Lesebeginn fast einen Monat verzögert, sodass die aromatische Reife sehr viel länger gedauert hat; nicht wie 2015, als der Hitzesommer sehr schnell für sehr viel Zucker und damit Alkohol gesorgt hat. Resultat sind Weine mit ausgeprägter Frucht, gutem Körper und frischer Säure. Etwa der Chasselas Johanniter Sélection 2016 von Martin Hubacher, der ausgesprochen sortentypisch daherkommt: Ein fruchtig-florales Bouquet mit unverkennbaren Noten von Zitrusfrüchten und Lindenblüten, gepaart mit einer schönen Mineralität, die sich auch am Gaumen zusammen mit Aromen von grünen Früchten und Steinobst bemerkbar macht; spritzige Säure, gut strukturiert und nachhaltig im Abgang.

Gespannt auf die Premiere

2016 ist auch der Jahrgang, mit dem der Jungwinzer Nick Bösiger und seinem Weingut «Frauenkopf» die Feuertaufe besteht. Am 1. Januar hatte er den 5‑Hektaren-Betrieb von Werner K. Engel übernommen (das BT berichtete).

Für seinen ersten Jahrgang musste Bösiger nicht nur drohenden Frühjahrsfrost, sondern auch ein niederschlagsbedingtes rekordhohes Risiko für Pilzkrankheiten überstehen. «Gleich im ersten Anlauf zu scheitern, wäre für mich wirklich katastrophal gewesen», sagt er. 2016 bezeichnet der Newcomer als «jung, wild und frisch; manchenorts traditionell oder überraschend.» Eine Tradition, die Bösiger von Engel übernommen hat, ist etwa die Cuvée von Pinot Noir und Malbec, eine schöne Mariage von klassischem Pinot, der durch die ursprünglich aus dem Bordelais stammende Malbec-Traube mehr Körper, Volumen und Struktur erhält.

In den nächsten Tagen füllt Bösiger dann erstmalig seinen Chardonnay ab, auf den man gespannt sein darf: Auf eine kurze zwölfstündige Maischestandzeit folgte die Bâtonnage, also das kontinuierliche Aufrühren der Hefe während der Lagerung, damit der Wein rund wird und an Fülle sowie einen fruchtigen, cremigen Geschmack gewinnt; anschliessend der Ausbau in Barriques. Auf einen biologischen Säureabbau hat Bösiger jedoch bewusst verzichtet, weil er den überholzten, übermächtigen Stil von Neue-Welt-Chardonnays um jeden Preis vermeiden möchte. Diese Frauenkopf-Innovation ist ab Mitte Juni erhältlich.

Wein mit Konzept

Apropos Innovation: Unter den jungen, wilden Bielerseewinzern dürfte Anne-Claire Schott zurzeit an Ideenreichtum schwer zu übertreffen sein. Bestes Beispiel dafür ist der Blanc 2016 «Aroma der Landschaft»: Wie für den Erstling 2015 verwendete Schott wiederum nur Trauben, die entlang der Rebmauern wachsen. Sechs Sorten, Chasselas, Pinot gris, Chardonnay, Silvaner, Sauvignon blanc und Pinot noir, wurden zusammen vinifiziert und in einem Beton-Ei während sechs Monaten auf der Feinhefe ausgebaut.

Klingt das nicht nach einem allzu wilden Mix? «Die Herkunft ist wichtiger als die Sorten», sagt Schott und liefert damit ihre ganz eigene Interpretation des Terroir-Begriffs. In der Nase ist dieser Wein noch sehr diskret, aber am Gaumen wird schon sehr viel an Aromatik spürbar. Klar ist: Dieser Weisswein hat enorm viel Power –was nicht zuletzt daran liegt, dass die Winzerin es mit der Extraktion noch weiter getrieben hat als beim Vorgänger. Salzig, mineralisch und gar tanninreich, da auch Pinot Noir mitvinifiziert wurde. Diesem Konzeptwein muss man sich vorsichtig nähern, und durch ein, zwei Jahre im Keller dürfte er noch einmal enorm zulegen.

Unkonventionell ist auch der erste «Aroma der Landschaft» – Pinot Noir, der 2015 gekeltert wurde und jetzt auf den Markt kommt. Es ist nämlich ein sogenannter Naturwein, nicht filtriert und spontanvergoren: Spontanvergärung, das ist die alkoholische Gärung durch natürlich im Weinberg und im Keller vorkommende Hefearten ohne den Zusatz von speziell gezüchteten Weinhefen. Diesem Pinot verhilft sie zu einem imposanten Körper und einer unendlich komplexen Fruchtigkeit.

Avantgardistisch auch hier die Gestaltung des Etiketts, das in diesem Fall die Grösse eines kleinen Gemäldes hat und vollständig um die Flasche gewickelt ist. Gemalt wurde das Werk vom Landart-Künstler Ulrich Studer mit einem einzigartigen Material: Drusen, also der Hefe, die sich ebenso im Wein befindet. Nicht zuletzt deswegen dürfte die ohnehin streng limitierte «Aroma»-Serie in kürzester Zeit ausverkauft sein.

(Bieler Tagblatt, 01.05.2017)