Die 43. «Vinifera» dauert noch bis am Sonntag. Die Bieler Weinmesse ist reich an Degustationsmöglichkeiten: Der Besucher findet Weine aus der ganzen Welt oder er kann sich auf eine bestimmte Anbauregion konzentrieren.
Wäre die schiere Menge an Besuchern der einzige Gradmesser für den Erfolg, so müssten sich die Aussteller der «Vinifera» an diesem Montagabend wohl ernsthafte Sorgen machen. Das funkelnde Licht der Kronleuchter wird vom blitzblank polierten Boden der «Diamond Event Hall» zurückgeworfen – was man freilich nur dann erkennen kann, wenn der Blick auf den Fussboden eben nicht von einer Vielzahl flanierender Weinfreunde verdeckt wird. 17:30 Uhr – seit einer halben Stunde hat die 43. Bieler Weinmesse ihre Tore geöffnet. Noch etwas gar verwaist wirken einzelne Stände, nach und nach steuern die wenigen Besucher in Richtung der Aussteller.
An einer Weinmesse wie der «Vinifera» zählt nicht der Direktverkauf, denn unmittelbar vor Ort wechselt hier keine Weinflasche den Besitzer. Entscheidend sind letzten Endes die gut ausgefüllten Bestellformulare, und um den interessierten Messebesucher zum Ausfüllen eines solchen zu bewegen, geht für den Weinhändler nichts über das direkte Gespräch, die persönliche Beratung und die Möglichkeit der Verkostung.
Enormes Wissen
In unmittelbarer Nähe des Eingangs, gewissermassen an prominentester Lage, befindet sich der Stand der «Weinbauregion Bielersee», wo die lokalen Winzer ihre Erzeugnisse präsentieren. An fast jedem Tag dieser Ausstellung betreut ein anderer Weinbauer den Stand, heute ist es Beat Giauque vom Rebgut Schloss Erlach.
Ob man als Seeländer Winzer an der «Vinifera» einen Heimvorteil geniesst? «Ein riesiger Vorzug besteht sicher darin, dass wir hier nicht bloss als Weinhändler, sondern als Produzenten vor Ort sein können», sagt Giauque. Wer den Wein, den er anbietet, auch noch selber hergestellt hat, der könne natürlich ein enormes Wissen über das Produkt ausspielen und auch Fragen beantworten, zu denen wohl nicht jeder Händler Auskunft geben könne. «Als Winzer weiss ich Bescheid über die Reben, über die Bedingungen, denen sie ausgesetzt waren, sowie über jeden Aspekt der Vinifizierung.»
Giauque hat praktisch sein gesamtes Sortiment dabei, nur der Gewürztraminer fehlt, weil bereits ausverkauft. Nicht weiter tragisch findet der Winzer, denn angesichts des Herbsts und des nahenden Winters seien nun ohnehin gehaltvollere Weine gefragt. Wer während der sommerlichen Hitze eher zu einem fruchtig-spritzigen Oeil de Perdrix gegriffen hat, dem steht nun vermehrt der Sinn nach einem guten Pinot Noir, vorzugsweise im Barrique ausgebaut, ein Wein der sich im flackernden Schein eines Cheminéefeuers geniessen lässt. Obwohl: Chasselas brauche es zu jeder Jahreszeit, sagt Beat Giauque schmunzelnd. Davon einmal abgesehen hat der Winzer auch Spezialitäten im Angebot, wie etwa eine Assemblage von Diolinoir, Pinot Noir und Syrah, die passend zur Zusammensetzung den Namen «Dinoirsy» trägt. Was macht die Vinifera aus? Entweder man degustiert sich in wildem Durcheinander durch sämtliche Kontinente und Stile oder aber man entscheidet sich bewusst für eine Richtung und folgt ihr. Zum Beispiel die Toskana. Allein, was aus dieser Gegend etwa beim Stand von «Le Vin» aus Biel zu Auswahl steht, reicht für eine ausgiebige Weinverkostung. Wunderbare Vergleiche bieten sich an, etwa, wenn man den 2013er-Chianti Classico von «Brancaia» dem 2012er-«Felsina» gegenüberstellt. Während Letztgenannter durch Aromen von Kirsche, Pflaumen und Mandel sowie feiner subtiler Säure besticht, erschlägt einen die Wucht des «Brancaia» schier – reife rote Früchte mit delikat kratzender Rauheit.
Eine ähnliche Konstellation in der zweiten Runde, wenn die Riservas dieser Häuser gegeneinander antreten: Beim 2011er-«Brancaia» dominieren die elegante Frucht und die feingliedrige Struktur am Gaumen, die Tannine sind kompakt und bestens eingebunden. Wirklich beeindruckend ist der lang anhaltende Abgang, welcher dieses unvergleichliche Gefühl von Trockenheit auf der Zunge hinterlässt. Der «Rancia» 2009 aus der «Fattoria di Felsina» ist ausgesprochen würzig und breit auf der Zunge, mit ausgeprägter Holznote – ein Wein, der unbedingt etwas zu Essen als Begleitung verlangt.
Jüngeres Publikum
Das messeeigene Bistro lockt mit tiefrotem Sockey-Wildlachs und frischen Trüffeln. Nur würde der Lachs etwa nach einer «Cuvée tradition brut» aus dem Hause Mauler verlangen, den es ein paar Meter entfernt am Stand gibt, das edle Pilzgewächs hingegen wäre mit einem Chardonnay aus dem Burgund besser bedient. Und das würde in keiner Weise dem Verlauf der bisherigen Degustation entsprechen, weshalb eine frische Minipizza geordert wird. Zeit, sich wieder der Toskana zuzuwenden, wo beim Verkosten des 2011er-«Ilatraia» – wiederum von «Brancaia» – sich doch etwas Bedauern darüber breitmacht, dass seit dem Jahrgang 2009 nicht nur die Sangiovese-Traube aus der Assemblage verschwunden ist (was sich durch eine auffallend «beerige» Reife bemerkbar macht) sondern auch das auffällige Design der Etikette.
Hans-Rudolf Biedermann, Inhaber von «Le Vin», findet selbst zwischen den Degustationen noch Zeit für ein kurzes Gespräch. Eine Tendenz, die er in den letzten Jahren an der «Vinifera» bemerkt hat: «Es gibt immer mehr junge Leute, die sich für Wein interessieren», sagt Biedermann. Es gehe ihnen auch nicht darum, einfach irgendetwas zu trinken, sondern sie wollten sogar sehr genau wissen, was sie im Glas hätten. Daher habe er auch zunehmend sogenannte easy going wines, sprich Einsteigerweine im Sortiment und stellt zur Demonstration gleich einen Salice Salentino aus Apulien auf den Tisch. Dieser schmeckt – pardon – fast wie wässriger Sirup, jedenfalls verglichen dem Höhepunkt, dem 2011er-«Grattamacco», der etwa zeitgleich mit der zuvor bestellten Pizza auf den Tisch gelangt. Auch das ist die «Vinifera». Toskanischer Spitzenwein zu einem simplen Teigfladen.
(Bieler Tagblatt, 10.11.2015)