Die richtige Dosis Säure

In den Kellern der Bielerseewinzer gärt es. Die Winzer sind zurzeit damit beschäftigt, den optimalen Säuregehalt der Weine festzulegen. Ein Besuch auf dem Twanner Weingut Krebs.

Die Zeit der Ernte ist definitiv vorbei. Der Weg von Twann zum Weingut Krebs führt durch schier endlose Reihen kahler Rebstöcke, die sich beharrlich gegen die eisig wehende Bise stemmen. Die brütende Hitze des vergangenen Sommers – sie hat den Winzern Trauben mit herausragendem Zuckergehalt beschert  – ist zur blossen Erinnerung verblasst.

Nur ist das eben ein zweischneidiges Schwert: Grandiose Oechslegrade sind das eine, der Ertrag das andere. Bis zu 40 Prozent Einbusse im Vergleich zum Vorjahr – dafür hat Andreas Krebs nur ein Wort: «himmeltraurig». Wegen der hohen Temperaturen und der langanhaltenden Trockenheit hatten die Trauben weniger Saft und weniger Gewicht. In diesem Jahr habe man es wirklich schmerzhaft spüren müssen, dass die Twanner Weinberge im Gegensatz zu anderen Gebieten über keine fixen Bewässerungssysteme verfügen. Das habe allerdings auch Vorteile. «Es schadet den Reben nicht, wenn sie etwas leiden», sagt Krebs, da so das Wurzelwachstum gefördert werde. Wurzeln, die suchend in den Boden vordringen, erhalten mehr Nährstoffe.

Weniger Säure

«Dem Malbec hat es sicher gefallen», sagt Andreas Krebs, obwohl man auch den habe bewässern müssen. Die Malbec-Traube – mit ihrer vergleichsweise dicken Beerenhaut ist sie gut an heisses, trockenes Klima angepasst – gedeiht auch an den Hängen des Bielersees. Allerdings nur an ganz bestimmten Lagen. Auf dem Weingut der Familie Krebs ist das eine Parzelle mit besonders vielen Trockenmauern, die viel Wärme speichern können und diese auch in der Nacht an die Rebstöcke abgeben. Der Twanner Malbec bleibt jedoch ein Nischenprodukt, es dominieren nach wie vor Pinot Noir und Chasselas.

Was ist vom Weinjahrgang 2015 zu erwarten? Nebst dem hohen Zuckergehalt haben die Trauben viel weniger Säure, aber einen höheren PH-Wert. Das sei insofern nicht unproblematisch, als dadurch viel mehr unerwünschte Bakterien als sonst den Wein verderben könnten: Bei höherem PH-Wert  ist die Wirkung des Schwefels, den der Winzer einsetzt, um die Oxidation zu verhindern und das Wachstum unerwünschter Mikroorganismen zu hemmen, eine andere.

Die Säure spielt eine wichtige Rolle bei der momentan stattfindenden Gärung des Traubenmosts. Diese geschieht in Stahltanks oder Holzfässern. Durch natürlich auf der Traube vorkommende Hefe wird der Gärvorgang in Gang gebracht. Die Hauptgärung dauert sechs bis acht Tage. In dieser Zeit wird der im Most enthaltene Zucker in Alkohol umgewandelt. Diese erste, die sogenannte alkoholische Gärung sei bei seinen Weinen jetzt mehrheitlich abgeschlossen, sagt Andreas Krebs. Die abgestorbene Hefe sinkt dann allmählich auf den Grund des Behälters. Bei den Sorten Müller-Thurgau, Pinot Gris und einem Teil des Chasselas verhindert Krebs eine zweite Gärung mittels Schwefelung. Diese zweite, die sogenannte malolaktische Gärung ist ein spontaner Prozess, der zum Abbau von Säure führt und nicht bei jedem Wein erwünscht ist. Bei Weissweinen ist Säure eine wichtige Komponente, da der Wein dadurch spritzig und frisch wird, bei Rotwein ist der biologische Säureabbau nahezu unerlässlich, weil die Weine dadurch weicher und komplexer werden.

Regelmässig degustieren

Allerdings, Säure ist nicht gleich Säure. Bei der malolaktischen Gärung wandeln Milchsäurebakterien, die in der Traube bereits enthalten sind, die Apfelsäure in Milchsäure um. Während Apfelsäure im Gaumen als stechend und unangenehm empfunden wird, fühlt sich Milchsäure angenehm und «rund» an. Damit dieser Prozess überhaupt in Gang kommt, braucht es eine Temperatur von mindestens 18 Grad.

Wie überprüft der Winzer den Ablauf des Säureabbaus? Einerseits ist das Chromatogramm ein hilfreiches Instrument. Dabei wird Wein mittels Mikropipette auf ein Löschpapier aufgetragen und in eine Lösung getaucht. Weil die Flüssigkeit je nach Säuregehalt eine andere Dichte hat, zeichnet sich auf dem Papierbogen ein spezifisches Muster ab. Andererseits geht nichts über das Degustieren der eigenen Erzeugnisse. Das geschieht alle zwei bis drei Wochen und ist äusserst aussagekräftig. Andreas Krebs greift zur Weinpipette, schreitet zu einem seiner Edelstahltanks und zieht etwa zwei Zentiliter grünlich trüber Flüssigkeit heraus, Chasselas, bei dem der Säureabbau bereits vollzogen ist. Sowohl in der Nase als auch im Gaumen entfaltet sich ein ausgeprägt «buttriges» Aroma, ein untrügliches Anzeichen von Milchsäure. Ein Teil des Chasselas lagert zurzeit in einem ungewöhnlichen Gebinde, einem grauen Beton-Ei. Durch diese ungewöhnliche Form bleibe die Hefe besser in der Schwebe und könne besser zirkulieren, sagt Krebs. Der Einsatz und das Arbeiten mit der Hefe sei ihm besonders wichtig, denn so könnten besonders charaktervolle Weine entstehen. Das sind Weine mit Ecken und Kanten, mit herausstechenden Eigenheiten, die sich speziell durch de Lagerung noch weiterentwickeln. Geschmack durch Terroir und Traube statt bloss durch Holz? «Gute Weine sollen nicht jedem auf Anhieb gefallen. Im schlimmsten Fall schmeckt man im ersten Moment eine Fruchtexplosion, im zweiten Moment gar nichts mehr.»

Markante Unterschiede

Warum man bei Rotweinen kaum um einen Säureabbau herumkommt, demonstriert Krebs anhand seines Pinot Noirs. Vor der zweiten Gärung schmeckt er regelrecht ruppig, säuerlich, unglaublich reich an Gerbstoffen. «Der muss zu diesem Zeitpunkt genau so sein.» Der Säureabbau setzt dann innerhalb des nächsten Monats ein, genau steuern kann man den Zeitpunkt allerdings nicht. Wie alle seine Rotweine lagert Andreas Krebs den Pinot ausschliesslich in Holzfässern, denn: «Holz kann atmen, Stahl nicht.» Zum Vergleich der gleiche Wein mitten im Abbau: Die Säure ist grösstenteils gewichen, und es dominiert ein vollmundiges Aroma, das sich am besten mit «Ruuchbrotkruste» vergleichen lässt. Der sei etwa in zehn Tagen fertig. Nach dem Einschwefeln wird der Wein zwei bis drei Monate bis zur Filtrierung gelagert. Erst danach kann man ihn sich selbst überlassen.

(Bieler Tagblatt, 30.11.2015)