Mit dem Herbst häufen sich im Seeland wieder die Nebeltage – allerdings weniger oft als früher. Das Wetterphänomen stellt selbst Wissenschaftler immer noch vor Rätsel.
Es ist Herbst im Seeland. Wenn die ersten Sonnenstrahlen des Tages in die dunklen Ebenen vordringen, fliesst das Licht von den Wäldern zu den Höhen des Juras, von den Feldern zu den Hügeln und enthüllt Landstriche in Goldbraun. Rotgoldenes Licht berührt die Giebel der Dörfer, das Gehölz leuchtet in scharlachrotem Glanz. Es sei denn, das Seeland zeigt sein zweites herbstliches Gesicht; wenn es sich weniger zeigt, denn verhüllt. Versteckt hinter einem Schleier dichten Nebels, so kennt man es während dieser Jahreszeit nur allzu gut. Der Nebel gehört zum Seeland. Seine Häufigkeit indes nimmt ab, das zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse.
Das Seeland ist Nebelland
Nebel verleiht jeder Landschaft ein mystisches Antlitz; auch er selbst scheint viele Geheimnisse zu bergen. Doch was ist Nebel eigentlich und wie entsteht er?
Es gibt verschiedene Arten, wie sich Nebel bilden kann. Im Schweizer Mittelland ist der sogenannte Strahlungsnebel Ursache für die meisten Nebeltage. Strahlungsnebel bildet sich, wenn die Temperatur der Erdoberfläche durch nächtliche Ausstrahlung absinkt und dabei auch die bodennahe Luftschicht etwa in der Grössenordnung von wenigen Metern bis zu einigen 100 Metern unter den Taupunkt abgekühlt wurde.
Mit anderen Worten heisst das, dass in einer klaren und langen Nacht die Temperatur deutlich sinkt. Dabei kann kältere Luft weniger Luftfeuchtigkeit aufnehmen. Die Luft kondensiert, es bilden sich Wolkentröpfchen. Der Nebel entsteht.
Begünstigte Gebiete für Strahlungsnebel sind feuchte Senken (z.B. Seen oder Sümpfe), Mulden oder Täler, die sich nachts oft mit der von den Hängen abfliessenden Kaltluft füllen und damit regelrechte Kaltluftseen bilden, in denen sich durch weitere Strahlungsabkühlung Nebel bildet.
Der aus Biel stammende Heinz Wanner ist einer der renommiertesten Klimatologen der Welt. Als Professor leitete er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2012 das Klimaforschungszentrum der Universität Bern. Dass das Seeland Nebelland ist, weiss er auch aufgrund seiner eigenen Forschung: «Nebel benötigen kalte Luft und Feuchte für die Kondensation des Wasserdampfes zu Nebeltröpfchen. Das Seeland weist aufgrund seiner Muldenlage und wegen der Seen und Flussniederungen ideale Eigenschaften für die Nebelbildung im Herbst und Frühwinter auf.»
Weniger Nebeltage
Die oft neblig-trüben Verhältnisse im Winterhalbjahr stellen für viele Seeländer eine erhebliche Belastung dar. Für die vielen Nebelgeplagten ist jedoch in den letzten Jahren eine messbare Erleichterung eingetreten.
Neuste Untersuchungen, durchgeführt an der Universität Bern in Zusammenarbeit mit Meteoschweiz zeigen, dass Nebeltage im Schweizer Mittelland seltener geworden sind. Insbesondere seit 1971 ist ein starker Rückgang der Nebelhäufigkeit im Winter zu beobachten. Sind im Mittelland für die Jahre 1971 – 1975 im Mittel 41 Nebeltage zu verzeichnen, sind es in den Jahren 2000 – 2004 nur noch deren 25. Seit 1971 verminderte sich die Nebelhäufigkeit um rund 5 Tage pro Jahrzehnt.
Mit dem Beginn der offiziellen Wetterbeobachtungen im Jahr 1864 können heute über 140-jährige Datenreihen ausgewertet werden. Allerdings können die Daten vor und nach 1970 aufgrund eines Systemwechsels nicht direkt miteinander verglichen werden. Die alten Aufzeichnungen bis 1970 zeigen aber ebenfalls einen augenfälligen Rückgang der Nebelhäufigkeit.
Woran das genau liegt, kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden, sagt Stephan Bader vom Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie Meteoschweiz: «Eine Erklärung für den Rückgang der Nebeltage können wir vorderhand nicht liefern. Dazu ist eine umfangreiche Analyse notwendig. Da die Nebelbildung von bestimmten Wetterlagen abhängt, ist die Ursache am ehesten in der Veränderung der Häufigkeit der nebelbringenden Wetterlagen zu suchen.» Solche Untersuchungen seien jedoch enorm aufwendig, da man das Phänomen zwingend in Zusammenhang mit der europäischen und schliesslich der weltweiten Wetterlage analysieren müsse.
Kaum zu messen
Nicht weniger knifflig verhält es sich, wenn es um die sogenannte Nebelobergrenze geht. Hing das Nebelmeer früher tiefer oder täuscht dieser Eindruck? Laut Heinz Wanner gebe es nur Statistiken, die zeigen, dass die Nebelhäufigkeit im tieferen Mittelland aufgrund der Entwässerung der Böden und der Überbauungen abgenommen hat. «In mittleren Höhen dürfte der Nebel eventuell zugenommen haben. Zudem dürften die Überbauungen und die allgemeine Klimaerwärmung tatsächlich zu einer Anhebung der Nebelobergrenze führen. Bewiesen ist diese allerdings noch nicht.»
Diesen Beweis zu erbringen, dürfte indes nicht ganz einfach sein, denn: Nebel kann nicht automatisch gemessen werden, sondern muss mit Augenbeobachtungen erfasst werden. Das erfordert also den Einsatz von Beobachtern, welche täglich mehrmals die Nebelsituation beurteilen. Es existieren zwar Geräte zur Erfassung der Sichtweite, sogenannte Transmissometer. Diese sind aber sehr teuer und ihr Einsatz beschränkt sich auf Flughäfen.
Analysen zur Nebelhäufigkeit liegen folglich nur von wenigen Messstandorten vor. Das bestätigt auch Jürg Kurmann vom Büro Meteotest in Bern: «Nebelbeobachtungen beruhen oft auf Augenbeobachtungen. Dabei fehlen meines Wissens Beobachtungsstandorte in leicht erhöhten Lagen des Juras.» Nebelvorhersagen seien laut Kurmann möglich, blieben aber eine der grossen Knacknüsse für die Meteorologen im Winterhalbjahr.
Viele Facetten des Nebels sind schwer vorherzusagen. So zum Beispiel der Zeitpunkt der Nebelbildung, die geographische Verteilung des Nebels, seine Obergrenze oder der Zeitpunkt, an dem er sich auflöst. Dank der Hilfe von verbesserten hochauflösenden Wettermodellen und der Erfahrung und Ortskenntnisse des Meteorologen können Nebelprognose immer zuverlässiger erstellt werden. Bis dahin bleibt Nebel etwas schwer Fassbares; etwas das sein Mysterium ein Stück weit bewahrt.
(Bieler Tagblatt, 12.10.2014)