Eine tolle Stimmung und ein vielfältiges Angebot an Vergnügungen sind am Lyssbachmärit eigentlich garantiert. Doch kann das kulinarische Angebot da mithalten? Unser Gastrokritiker war vor Ort: Manches hat ihm gefallen, hie und da sieht er noch Verbesserungspotenzial.
Früher war alles einfacher. Wer an ein Volksfest ging und irgendwann von Hungergefühlen übermannt wurde, dem bot sich meist ein klar begrenzter kulinarischer Horizont, der sich vom Frittierten zum Grillierten erstreckte. In Unmengen brodelnden Fetts nahmen längsgeschnittene Kartoffeln, allerlei Paniertes und vielleicht noch ein paar Churros ein siedendes Bad, während am anderen Ende des Spektrums Bratwürste, Hamburger, zähe Steaks und ganze Poulets von flammender Glut versengt wurden – und dazwischen sorgten Berge von Nudeln, in Paellapfannen von undefinierbarer Currysauce umschlossen, für eine knisternde Prise Exotik.
Und heute? Heute ist es vielerorts mit dieser Einfachheit vorbei; spätestens seit ein Food-Trend nach dem anderen über einen hineinbricht und sich langsam aber sicher auch auf volksfestlichem Terrain breitmacht: Gerade jetzt, wo gefühlt alle paar Tage ein Streetfood-Festival aus dem Boden gestampft wird, hat man als standbetreibender Gastronom mit Würsten und Pommes einen doch eher schweren Stand, es sei denn natürlich, man serviert dänische Hotdogs mit Toppings oder handgeschnittene belgische Frites. Schliesslich muss man sich gegen die Konkurrenz von authentischem taiwanesischem Streetfood, jamaikanischem Jerk-Chicken, peruanischem Süsskartoffelburger und etwa zehn Arten von Pulled Pork behaupten.
Keine Experimente
Inwiefern sind diese globalisierten Food-Trends nun auch auf ein Volksfest wie den Lyssbachmärit übergeschwappt? Diese Frage lässt sich einzig durch einen kulinarischen Streifzug klären – und ist alsbald beantwortet: Am Lyssbachmärit zeigt man sich doch erstaunlich trendresistent. Klassische Feststimmung mit klassischer Volksfestverpflegung, ölgeschwängerte Luft, alle 20 Meter ein Churros-Stand (so jedenfalls der subjektive Eindruck), aus den Boxen dröhnt Helene Fischer «das Karussell in meinem Bauch, es dreht sich weiter». Hoffentlich kein schlechtes Omen.
Diese Vorahnung erweist sich jedoch als unbegründet, denn allein schon ein Blick auf das riesige Spiessli-Angebot an der «Barbecue Bar» befeuert fleischliche Gelüste und steigert das Verlangen. Holzfäller‑, Kalbs‑, Rinds‑, Thai-Poulet, Lachs‑, Enten‑, Schaf- oder Fackelspiess locken alle gleichsam, doch fällt die Wahl auf den Rindsspiess. Und der ist genau so, wie ein Rindsspiess sein sollte, nämlich aussen knusprig grilliert und innen schön saftig, gut gewürzt, weil nur dezent mariniert. Weniger Freude bereitet hingegen das den Spiess begleitende Aufbackbrötchen, das der Kaumuskulatur einiges abverlangt, weil es nur halbgar und folglich recht pampig daherkommt. Nichtsdestoweniger ein gelungener Auftakt.
Im Frittier-Stress
Weiter geht es durchs Gedränge dem Lyssbach entlang, wo der SC Lyss an seinem Stand einen Leckerbissen auftischt, der an keiner solchen Veranstaltung fehlen darf, nämlich fritierten Zander. Erfreulich, dass die fleissig frittierende Equipe den Fisch in Akkordarbeit und à la minute zubereitet, sodass es auch nicht lange dauert, bis sieben knusprig-heisse Zanderfilets mit Pommes frites serviert werden. Die Filets sind geschmacklich einwandfrei; ob man den Ausbackteig wirklich mit einer Paprikamischung hätte würzen müssen, ist Ansichtssache. Was nach einigen Bissen jedoch unangenehm hervortritt, ist die beträchtliche Menge an Salz, in welcher der Süsswasserfisch allem Anschein nach zuletzt geschwommen ist. Vermutlich ist es die Prise Salz, die bei den Pommes wohl leider vergessen ging. Und wieder einmal zeigt sich, dass auch die Zubereitung von etwas scheinbar so Simplem wie Pommes frites ihre Tücken haben kann. Lässt man sie wie im vorliegenden Fall zu wenig lange in der Fritteuse, sind sie auf dem Teller nach wenigen Minuten labbrig und ölig. Das ist schade, doch so viel Verständnis sei für die Küchenbrigade aufgebracht: In der Hektik des Mittagsgeschäfts fehlt wohl einfach die Zeit, die Kartoffeln in zwei Durchgängen zu frittieren.
Luft nach oben
Jedes anständige Volksfest wäre unvollständig ohne einen vernünftigen Hamburger. Grosse Erwartungen weckt der Männerkochclub «Gourmet-Kings» mit seinem Kings Burger. Leider wärt die Vorfreude nur kurz, denn das Resultat ist doch etwas gar bescheiden. Das gebratene Rindfleisch liegt auf ein paar wenigen, nicht sehr grossen Salatblättern und einer überschaubaren Menge einer leicht pikanten Cocktailsauce; obenauf karamellisierte Zwiebeln und nichts ausserdem. Weder Tomaten, Gurken oder gar Käse. In Verbindung mit dem eher trockenen Maisbrötchen ist dieser Burger weder saftig noch königlich noch gourmet. Der Umstand, dass der Hamburger unmittelbar nach dem Bezahlen serviert wurde, ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass er schon einige Zeit im Warmhaltebereich verbracht hatte. Das ist ein Jammer, denn frisch vom Grill hätte er um einiges besser geschmeckt.
Apropos Warmhalten: Dass die Möglichkeit, Gerichte an Essensständen komplett frisch zuzubereiten, doch sehr limitiert ist, ist ein bekanntes Problem. Vieles muss daher über längere Zeit bei Temperatur gehalten werden. Indische Curries oder mexikanisches Chili con carne können hiervon geschmacklich sogar profitieren, da die Gewürze ordentlich durchziehen können. Bei einem Klassiker wie gebratenen Nudeln stösst das System allerdings an seine Grenzen. Und so wird man mit Schrecken Zeuge davon, wie Gebratenes nicht mehr gebraten wird, sondern in der Mikrowelle landet. Wenig überraschend, dass dem Nudelberg damit kein Gefallen erwiesen wird: Fade, trocken, dominiert von öligem Einheitsgeschmack – da hilft nicht einmal mehr die viel zu süsse Chilisauce. Gewiss, authentisches Asia-Streetfood darf man hier vermutlich nicht erwarten, etwas mehr Sorgfalt allerdings schon.
Kein leichter Schlusspunkt
Für ein süsses Finale reicht es gerade noch, und da führt kein Weg an den geradezu omnipräsenten Churros vorbei. Nicht dass der Eindruck entsteht, der Autor lehne diese Spezialität grundsätzlich ab – gut gemachte Churros sind ein knuspriger, locker-leichter Hochgenuss – doch schlechte Erfahrungen hinterlassen eben einen bleibenden Eindruck. Zu dumm nur, dass im vorliegenden Fall alle negativen Vorurteile ihre Bestätigung finden. Aus den Boxen dröhnt jetzt der Wendler: «Es war der helle Wahnsinn… für kurze Zeit.» Wie passend. Ein Biss in diejenigen Areale des Churros, die mit ordentlich Zucker bedeckt sind, verursachen tatsächlich ein Hochgefühl … für kurze Zeit. Dann wird man sich unweigerlich bewusst, was man da isst. Einfach nur frittierten Brandteig mit Zucker. Und auch der kann fade schmecken, wenn man die nötige Prise Salz vergisst. Ebenso ist die Vorstellung von «locker-leicht und knusprig» bald verflogen und weicht der mehlig-pappigen Wirklichkeit.
Rettung naht in Form eines frisch gezapften Aarebiers. Der erste Schluck befreit die geschundene Kehle, der zweite Schluck regt die Gedanken an. Vielleicht sollte man es so sehen: Das Essen ist hier einfach Teil eines Gesamtpakets; sich etwas gehen lassen, Spass haben, das Fest geniessen. Da gehört etwas Junkfood wohl einfach dazu. Solange die Stimmung gut ist, mag man über die eine oder andere kulinarische Verfehlung hinwegsehen. Für alles andere gibt es Restaurants.
(Bieler Tagblatt, 26.06.2017)