Restaurantkritik: Wo sich der Rucola türmt

Im Hirschen Lyss wird italienisch gekocht, und wer dort eintritt, spürt sofort eine gewisse Italianità. 

Einfache schwarze Holztische, schwarze Holzstühle vor weiss gestrichenen Holzwänden, an denen ein barock verschnörkelter goldener Spiegel prangt. Das hier verkörperte Zugeständnis an die dolce vita scheint sich auch in gepflegtem Müssiggang zu äussern – erst nach einer Viertelstunde am Tisch werden wir gefragt, was wir trinken möchten. Nun denn, Zeit genug, sich umzuschauen. Die Gaststube ist etwa zur Hälfte besetzt, doch unentwegt trudelt Kundschaft ein, welche jedes Mal mit einem vertrauten «Tschou zäme» willkommen geheissen wird. Man kennt sich im Hirschen.

Wenig Überraschendes bietet die Speisekarte, was nichts Schlimmes ist, wenn die gebotene Auswahl an italienischen Klassikern denn auch gekonnt zubereitet wird. Um es vorwegzunehmen, der Abend war nicht frei von Enttäuschungen. Angefangen beim Wunsch, zum Auftakt ein Glas Weisswein aus der Region zu geniessen, dem leider nicht entsprochen wird, sei es mangels Vorhandensein im Sortiment oder einer nur unzureichenden Kenntnis desselben durch die Servicekraft. Stattdessen wird ein namenloser Pinot Grigio ( 4.50 Fr das Glas) serviert, dessen Säurecharakter derart im Vordergrund steht, dass die Umschreibung «zitronig» noch eine gewaltige Untertreibung darstellt.

Als Vorspeise bestellen wir «Bruschetta alla casalinga» (7.80 Fr), sprich geröstetes Brot mit marinierten Tomatenwürfelchen, sowie das «Carpaccio di Manzo» (15.80 Fr). Beim Hauptgang entscheiden wir uns gegen eine Pizza, obwohl diese am Nebentisch äusserst verlockend auf Holzbrettern serviert wird. Stattdessen soll es die Hausspezialität sein, die «Tagliata di manzo» (32.80 Fr), ein tranchiertes Entrecôte vom Angusrind auf Rucolabeet, mit Parmesanspänen und Olivenöl garniert. Die Begleitung bestellt ein hausgemachtes Cordon bleu. Eine uralte Küchenregel: Sowohl Fleisch als auch Tomaten benötigen eine gewissen Temperatur, soll der Eigengeschmack angemessen zur Geltung kommen. Daran hat man sich bei den Vorspeisen leider nicht gehalten. Die Tomaten sind eiskalt, als sie auf Röstbrot drapiert zur Tafel gelangen. Das ist schade, denn gut abgeschmeckt ist das Gericht eigentlich. Noch frostiger der Auftritt des Carpaccios: Dank der leider weit verbreiteten Unsitte, das Fleisch vorher tiefzufrieren, um es dann mit einer Schneidmaschine besser hobeln zu können, schmälert das unangenehme Knirschen von Eiskristallen im Mund den Genuss.

Optisch präsentieren sich die Vorspeisen ordentlich, nur die auf der Speisekarte nicht vermerkten Berge von Rucola auf den Tellern stören etwas. Erfreulicher dann der Hauptgang. Das Cordon bleu schmeckt hervorragend: Krosse Panade, saftiges Schweinefleisch, welches mit dem würzigrezenten Käse hervorragend harmoniert. Die Präsentation der Tagliata irritiert hingegen etwas: Da liegt nicht Fleisch auf Rucola, sondern alles nebeneinander. Dass die als Beilage georderten Pommes Frites (3.50 Fr) auch noch daneben Platz gefunden haben, lässt den Teller etwas gar überfüllt erscheinen. Dennoch: Das Fleisch ist wunderbar zart, wie gewünscht saignant gebraten und superb gewürzt. Zur senfig-scharfen Aromatik des Rucolas bildet es in Kombination mit den Parmesansplittern einen wunderbaren Kontrast. Die dazu gereichte Rosmarinsauce verdient ihren Namen, das Aroma ist intensiv, aber nicht dominant, herzhaft, herb, aber nicht bitter.

Auf der Dessertkarte stechen hausgemachtes Tiramisu und frische Erdbeertorte aus dem etwas fantasielosen Coupe-Angebot heraus. Das Tiramisu (7.50) ist von ungewöhnlich cremig-lockerer Konsistenz, für unseren Geschmack mit etwas zu viel Amaretto. Wurde hier Mascarpone durch Sahne ersetzt? Nicht alles war perfekt, doch hat es an diesem Abend ordentlich gemundet.

 

 

 

Hirschen Lyss

Karte: Reichhaltige Auswahl an italienischen Klassikern, aber auch Fleisch und Fisch.

Preis: Hauptgerichte zwischen 13 (Pizza Margherita) und 37 Franken (Rindsfilet).

Ambiance: Rustikal und zugleich iatlienisch-elegant. 

Kundschaft: Queerbeet, viele Stammkunden. 

Aufgefallen: Pizza wird auf rustikalem Holzbrett serviert. 

Info: Hirschenplatz 2, 3250 Lyss, 032 384 13 08, hirschen-lyss.ch. Öffnungszeiten: Mo-Sa: 8.30 bis 23.30 Uhr, So: 9 bis 23.00 Uhr.

(Bieler Tagblatt, 20.04.15)