Restaurantkritik: Gut Ding will Weile haben

Es klingt nach dem per­fek­ten Geheim­tipp: Irgend­wo in der Abge­le­gen­heit des Jura­süd­hangs soll es ein Lokal geben, das wäh­rend des Win­ters rus­ti­ka­le Hüt­ten­kost auf­tischt und wäh­rend des rest­li­chen Jah­res eine genu­in regio­na­le Gour­met­kü­che zelebriert.

De fac­to ist jedoch nichts von dem geheim – das «Le Gril­lon» in Les Prés‑d’Orvin ist an die­sem Abend aus­ge­bucht, und Chef­koch Dani­el Jeand­re­vin ist auch in der jüngs­ten Aus­ga­be des Gault & Mil­lau mit 15 Punk­ten aus­ge­zeich­net worden.

Zum Glück haben wir reser­viert. Dass wir etwas zu früh dran sind, erweist sich als Glücks­fall, ansons­ten wären wir wohl nicht in den Genuss einer zart schmel­zen­den Gän­se­le­ber­ter­ri­ne mit Herbst­trüf­feln auf lau­war­mem Schwarz­brot gekom­men. Eine kla­re Sache, am sechs- oder sie­ben­gän­gi­gen Über­ra­schungs­me­nü (85 Franken/98 Fran­ken), führt kein Weg vor­bei, denn hier bestim­men Sai­son und Markt das Ange­bot. Wir ent­schei­den uns für die klei­ne­re Vari­an­te. Den Auf­takt macht eine Kür­bis­sup­pe mit einer leicht pikan­ten Ing­wer­no­te; soli­de gemacht, aber nicht son­der­lich über­ra­schend. Ganz anders der nächs­te Tel­ler: Kräu­ter, Blü­ten, jun­ger Salat und gebra­te­ne Eier­schwäm­me, als far­ben­präch­ti­ges Mosa­ik ange­rich­tet, und als Krö­nung je ein Stück gebra­te­ne Wach­tel­brust und ‑keu­le. Da tref­fen herr­lich knusp­ri­ge Haut und ein per­fekt getrof­fe­ner Gar­punkt auf erdi­ge Uma­mi­no­ten und kna­cki­ge Fri­sche. Ein bra­vou­rös aus­ta­rier­ter Spa­zier­gang durch die Natur. Danach ein Abste­cher in medi­ter­ra­ne Gefil­de: Ein Filet vom Wolfs­barsch wie aus dem Lehr­buch; kross auf der Haut gebra­ten, innen schön gla­sig, makel­los fes­te Tex­tur und opti­mal gewürzt. Scha­de, kommt der dazu gereich­te Auber­gi­nen­ka­vi­ar fade daher.

Ganz im Zei­chen der Jagd steht dann der Haupt­gang. Dani­el Jeand­re­vin brät die Tran­chen vom Reh­fi­let mit äus­sers­ter Zurück­hal­tung an, mehr saignant als à point, was manch einem etwas gewagt erschei­nen dürf­te, bei die­ser Spit­zen­qua­li­tät jedoch der rich­ti­ge Ent­scheid ist. Auch das Sau­cen­hand­werk beherrscht er meis­ter­haft. Was da sam­tig-sämig die Zun­ge umschmei­chelt, zeugt gleich­zei­tig von enor­mer Geschmack­s­tie­fe und dich­ter Aro­ma­tik sowie einer inten­si­ven, aber nie­mals auf­dring­li­chen Wür­ze. Gewiss dür­fen da Chnöpf­li – sagen­haft fluf­fig und but­t­rig – und Rot­kraut nicht feh­len, doch sind es die pochi­er­ten Ran­den­wür­fel, der gezupf­te Rosen­kohl und die zuvor im Wald gesam­mel­ten wil­den Äpfel, die die­sem Gericht jeg­li­che Schwe­re neh­men. Es ist ein Vor­zei­ge­bei­spiel dafür, wie man klas­si­sche Haus­manns­kost auf Hoch­glanz poliert: Jeand­re­vin stellt hier dem hoch­aro­ma­ti­schen Fleisch leicht säu­er­li­che Beglei­ter zur Sei­te, die das Gan­ze kom­plex machen, ohne den Fokus vom Haupt­pro­dukt zu neh­men. Den Abschluss bil­den eine Aus­wahl an affi­nier­tem Käse sowie eine ordent­lich gemach­te Dessertvariation.

Ein paar Wor­te zur Wein­kar­te: Die­se ist her­vor­ra­gend sor­tiert und fair kal­ku­liert. Bei den offe­nen Crus soll­te man fra­gen, was gera­de geöff­net wur­de, denn vie­les steht nicht auf der Kar­te. Bie­ler­see-Chas­se­las, süd­ti­ro­ler Char­don­nay, Vio­gnier aus Sud Ouest sowie ein wür­zig-opu­len­ter Syrah aus dem Rho­ne­tal bil­de­ten eine har­mo­ni­sche Beglei­tung. Ein fast per­fek­ter Abend also? Nicht ganz. Über zu klei­ne Wein­glä­ser und har­te Stüh­le mag man hin­weg­se­hen; die sehr direk­te, gar hemds­är­me­li­ge Art des Ser­vices hat durch­aus etwas Char­man­tes. Die War­te­zeit zwi­schen den ein­zel­nen Gän­gen liegt jedoch jen­seits des Zumut­ba­ren – eine Stun­de bis zum Haupt­gang ist schlicht zu viel. Den­noch: Das Essen macht alles wie­der wett.

 

Info: Le Gril­lon, Les Prés‑d’Orvin. Tele­fon 032 322 00 62; Öff­nungs­zei­ten: Mi-Sa: 
ab 9 Uhr und So 9–17.30 Uhr.

«Le Grillon»

  • Kar­te: Wirts­haus­be­reich mit währ­schaf­ten Gerich­ten, à la car­te mit geho­be­ner Wirts­haus­kü­che, zwei Gour­met-Menüs (car­te blan­che) à sechs (85 Fran­ken) oder sie­ben (98 Fran­ken) Gänge.
  • Preis: Mitt­le­res bis geho­be­nes Preis­seg­ment, her­vor­ra­gen­des Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis. Ach­tung: nur Bar­zah­lung, kei­ne Karten.
  • Ambi­en­te: Rus­ti­kal, fast spar­ta­nisch, viel Holz, wirkt den­noch etwas kalt.
  • Hier kocht: Dani­el Jeand­re­vin, ein Meis­ter der alten Schu­le mit einem exzel­len­ten Gespür für Regionalität.

 

(Bie­ler Tag­blatt, 01.11.2018)