Recht abenteuerlich mutet die Reise nach Bangerten an. Denn wer sich an einem nebligen Herbstabend auf den Weg in das 170-Seelen-Dorf am Rande des Seelands macht, fährt durch menschenleere dunkle Landstriche und fühlt sich bald mitten im Nirgendwo.
Speziell für den suchenden Nostalgiker lohnt sich dieser Weg, denn in Bangerten gibt es sie noch, die Dorfbeiz, jenes unverwüstliche Symbol eines intakten Dorflebens, ein Ort, an dem sich die Gemeinschaft trifft.
Das bestätigt sich beim Betreten des urgemütlichten, holzvertäferten Gastraums, der sich in einem über 180-jährigen Bauernhaus befindet: Fast jeder Platz im «Löwen» ist besetzt, gut, dass wir reserviert haben. Als wir Platz nehmen wird am Nebentisch, an dem auch der ehemalige Gemeindepräsident sitzt, lautstark über die kommende Bundesratswahl debattiert. So ist das eben in der «Beiz». Bei frischgebackenen schmackhaften «Chümi-Bretzeli» und einem Glas Thaynger Pinot Gris – mit Noten von reifen Äpfeln, voll und abwechslungsreich – wenden wir uns der Speisekarte zu. Diese ist recht kurz gehalten und wechselt wöchentlich bis täglich, was mit der kulinarischen Philosophie des «Löwen» zu tun hat: Regional, saisonal und zwar radikal, sprich Schweizer Gerichte mit saisonalen Zutaten, die, wenn möglich, vom familieneigenen Bauernhof und aus dem eigenen Garten stammen.
Die Pommes frites werden aus eigenen Kartoffeln selber hergestellt, selbst das Rapsöl stammt aus eigener Pressung. Als Vorspeise wählen wir die hausgemachte Kürbiscremesuppe mit Kürbiskernöl und Kernen (8.-), beim Hauptgang lockt Wild aus einheimischer Jagd, Rehpfeffer soll es sein (28.-). Die Begleitung entscheidet sich für das panierte Kotelette vom hofeigenen Schwein (29.-).
Beim Betrachten der Weinkarte fällt auf: Hier legt man Wert auf Schweizer Weine, ergänzt durch Weine aus Italien, Frankreich, Spanien und Österreich. Wir ordern eine Flasche des 2012er-Syrah vom Weingut Steiner Schernelz Village (56.-), ein fruchtiger Wein mit Würze, der sich als hervorragende Ergänzung zum Fleisch erweisen wird. Zuvor aber wird die Kürbiscremesuppe serviert. Die Vorfreude ob der ansprechend mit Sahnehaube und Kürbiskernen garnierten Suppe wird allerdings bald wieder etwas getrübt. Wo ist die raffinierte Würze, die intensive Fruchtigkeit, die dieses Gericht auszeichnen könnte? Vielleicht wurde hier schlicht das Salz vergessen, welches in dem als Beilage gereichten selbstgebackenen Brot auch nicht im Übermass zum Einsatz gekommen ist. Für den verhaltenen Auftakt entschädigen jedoch die Hauptgerichte.
Der Rehpfeffer wird in Begleitung von hausgemachten Chnöpfli, Rotkraut, Rosenkohl, glasierten Maroni, einer Rotweinbirne und einem Apfel mit Preiselbeerkonfitüre gereicht, das panierte Kotelett kommt mit Pommes frites und essbaren Blüten sehr attraktiv daher. Herrlich der Rehpfeffer: Die säuerlichen Nuancen der Rotweinbeize im Zusammenspiel mit den herzhaften Röst- und Schmornoten entfalten höchstkonzentrierte Fleischeskraft, knackige Silberzwiebelchen bilden einen raffinierten Kontrast zur Sämigkeit der Sauce. Das Schweinskotelette ist an Saftigkeit kaum zu überbieten und dürfte dem Liebhaber eigens eine Reise in den «Löwen» wert sein.
Die Pommes frites hätten gerne etwas dicker geschnitten sein dürfen. Beim Dessert führt kein Weg vorbei an den frischen «Öpfuchüechli» (10.50.-). Eine Wahl, die wir nicht bereuen. Perfekt frittiert, keineswegs ölig, die Äpfel wunderbar leicht knackig auf den Punkt, perfekte Balance von fruchtiger Säure und wohldosiertem Zimtzucker. Dazu eine Kugel dieser unverschämt cremigen Sauerrahmglace – und der abenteuerliche Heimweg gerät in Vergessenheit.
(Bieler Tagblatt, 14.11.15)