Restaurantkritik: Ein Raub der Flammen

Wer den Landgasthof «Hirschen» in Ortschwaben, Meikirch ansteuert, verfolgt meist ein klares Ziel: Er kommt des Fleisches wegen. Sensationelles «Dry Aged Beef», trocken abgehangenes Rind, soll es hier geben.

An diesem warmen Sommerabend nehmen wir an einem Tisch auf der idyllischen Terrasse Platz. Auf dem Weg dorthin können wir einen Blick auf das Heiligtum des «Hirschen» erhaschen: Die Fleischvitrine. Wunderschön marmorierte Steaks in verschiedenen «Cuts» (T‑Bone, Porterhouse, Ribeye und New York Striploin), 15 Wochen gereift. Die Vorfreude steigt schlagartig. Beim Aperitif halten wir uns an die Tagesempfehlung, eine starke Erfrischung in bester Steakhousemanier, eine «Vesper» (13.50 Franken)– ein Cocktail, bestehend aus Gin, Wodka und Lillet. Ein gelungener Auftakt. In der Speisekarte dominiert klar das Fleisch. Neben Fleisch vom heissen Stein (vier Varianten, bis zu 400 Gramm) dreht sich alles um das Edelfleisch. Klaus Wieczorek, der Chef des Hauses, präsentiert uns persönlich eine Auswahl seiner besten Steaks am Tisch. Wir entscheiden uns für ein Ribeye-Steak (12 Franken pro 100 Gramm).

Über die Garstufe scheint der Chef offenbar selbst zu entscheiden

Der erste Wermutstropfen des Abends: Seit der Getränkebestellung sind bereits 30 Minuten vergangen. Als Vorspeise ordern wir ein Beefsteak Tatar (17.50 Franken) und ein Carpaccio vom «Dry Aged Beef» (24.50 Franken). Dann plötzlich der Schock. Der Chef steht bereits mit dem angegrillten Steak am Tisch, noch bevor die Vorspeisen aufgetragen wurden. Wir ahnen Böses. Droht dem edlen Stück jetzt der Tod durch «bien cuit» im Ofen? Zudem ein kapitaler Fauxpas, welchen sich ein Steakhouse nicht erlauben darf – wir wurden nicht nach der gewünschten Garstufe gefragt! Das Fleisch verschwindet in der Küche. Dann endlich die Vorspeisen: Das handgeschnittene Carpaccio mundet hervorragend, allerdings verschwindet der köstliche Eigengeschmack des Rinds etwas unter dem zu fruchtigen Olivenöl. Das Tatar überzeugt hingegen auf ganzer Linie.

Beim ersten Bissen folgt die Ernüchterung

Wieder vergehen schier endlose Minuten, bis endlich das tranchierte Ribeye kredenzt wird. Der Chef drapiert es mit grünen Bohnen und Pommes Frites auf den Tellern. Aller Vorahnung zum Trotz ist das Fleisch irgendwo zwischen «saignant» und «à point» geblieben. Die Ernüchterung folgt jedoch beim ersten Bissen. Eine Nuance von Rauch steigert sich in einem donnernden Crescendo verbrannten Fleisches. Wie unendlich schade für den Eigengeschmack, der erst zur Geltung kommt, wenn die verkohlt schmeckenden Ränder weggeschnitten sind. Was folgt, wäre denn auch tatsächlich eine Offenbarung für den Gaumen. Intensiv, mürbe, butterzart. Genau so, wie gutes knochengereiftes Fleisch schmecken müsste.

US-Grill trifft die Schuld

Der Schuldige ist bald gefunden. Der Firemagic-Gasgrill aus den USA, auf welchem das Fleisch landet, mag zwar Barbecue-tauglich sein, dem «Dry Aged Beef» tut er jedoch Gewalt an. Im Gegensatz zu den 800-Grad-Steaköfen professioneller Steakhäuser sind die Fleischstücke hier viel zu lange einer offenen Flamme ausgesetzt. 15 Wochen Reifung verpuffen in Sekunden. Immerhin harmoniert der empfohlene Castillo Prelada (8.80 Fr. das Glas) wirklich gut mit dem Gegrillten. Wenig Versöhnliches bietet abschliessend das Dessert. Das Blutorangensorbet mit Grand Marnier (10.50 Fr.) ist in Ordnung immerhin nicht verkohlt.

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«Hirschen»

Karte: Steakhouse, gehobener Landgasthof

Preis: Hauptgerichte ab 28.50

Franken, Steaks je nach Gewicht.

Ambiance: Klassischer Landgasthof mit grosser Terrasse.

Kundschaft: Querbeet, Fleischliebhaber.

Aufgefallen: Die grosse Vitrine mit knochengereiftem Fleisch.  nbo

 

Info: Meikirchstrasse 11, 3042 Ortschwaben, 031 829 01 29, www.hirschen-ortschwaben.ch. Mo, Di, Fr, 8 bis 23.30 Uhr, Sa, 9 bis 23.30 Uhr, So, 10 bis 23 Uhr.

(Bieler Tagblatt, 09.08.15)