So glamourös wie bescheiden

Der Bündner Starkoch Andreas Caminada hat in der «Residenz au Lac» in Biel gekocht. Die Gäste des Gourmetanlasses erlebten einen kulinarischen Meister, der trotz seines Ruhms am Boden geblieben ist.

Wer Hektik sucht, wird sie in dieser Küche nicht finden. Auf dem Papier ist der Abend bereits gelaufen. Feinsäuberlich skizziert ist die Anordnung der Tische, die Aufteilung des Raums, der Standort jedes einzelnen Servicemitarbeiters, die Reihenfolge und Arrangements der Speisen, der exakte Zeitpunkt ihres Erscheinens auf der Tafel. Kochen als strategisches Planspiel, jeder Schritt ist festgelegt, wohlüberlegt und Teil eines grossen Kalküls.

Plauderton, kein Wort zu viel. Keine Spur von schweissgetriebener Hast, gebellten Kommandos, zischendem Öl, lodernden Flammen – lediglich der gelegentliche Klang von gewetzten Messern und rotierenden Schneebesen in Edelstahlgefässen. Es ist kurz vor 18 Uhr in der Küche der «Residenz au Lac» und mittendrin steht er, Andreas Caminada.

Wenn Andreas Caminada kocht, überlässt er nichts dem Zufall. So ist er eigens mit seinen Köchen und seinem Servicepersonal nach Biel gereist, um an diesem Montagabend 48 Gästen ein kulinarisches Erlebnis zu bieten. Einmal im Jahr veranstaltet die «Residenz au Lac» ihr Kulinarik-Event, wo sie Geniessern jeweils eine gastronomische Erfahrung höchsten Ranges bietet. Sei es durch das Engagement der Schweizer Junioren-Kochnationalmannschaft im Jahr zuvor oder durch den Besuch des Bieler Starkochs Anton Mosimann (das BT berichtete). Die Plätze seien immer sehr begehrt, sagt Anna Ravizza, Direktorin der «Residenz au Lac», «die waren ratzeputz ausverkauft.» Dass man für die diesjährige Ausgabe Andreas Caminada verpflichten konnte, sei ein absoluter Glücksfall gewesen. Wie soll man das noch übertreffen? Man dürfe die einzelnen Gourmet-Anlässe natürlich nicht vergleichen, so Ravizza, «aber für nächstes Jahr kommt uns bestimmt wieder etwas in den Sinn.»

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Harmonie der Aromen

Die vor Euphorie strotzende Wortwahl scheint durchaus gerechtfertigt, wenn man einen Blick auf Caminadas Leistungsausweis wirft. Caminada der Wunderknabe, im Alter von 30 Jahren erstmals «Gault Millau»-Koch des Jahres, mittlerweile mit 19 Gault Millau-Punkten und drei Michelin-Sternen, seit 2011 ist sein Restaurant Schauenstein im bündnerischen Fürstenau auf der S. Pellegrino Liste «The World’s 50 Best Restaurants». Caminada, einer der meistfotografierten und modernsten Köche des Landes, Caminada, dessen markantes Konterfei auf unzähligen Hochglanzplakaten prangt, ein Koch mit eigener Zeitschrift und einer eigenen Kollektion edler Damastmesser, einer, der viel herumkommt in der Welt, einer den man kennt, einer, mit dem man sich nur zu gern ablichten lässt. So verbringt Caminada zu Beginn des Abends in Biel fast mehr Zeit mit Ansprachen und eigens arrangierten Fotoshootings. Auch Stadtpräsident Erich Fehr lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, die Zusammenkunft mit dem Sternekoch fotografisch festzuhalten.

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Es wäre jedoch falsch, sich von dieser glamourösen Aura blenden zu lassen, und einen mondänen, abgehobenen Exzentriker und prätentiösen Molekulargastronomen zu erwarten. Zweifelsohne ist Caminada ein Ästhet, doch ein bescheidener, jemand, der die Einfachheit, die Regionalität und Saisonalität zu den prägenden Bezeichnungen seiner Küche erhoben hat.

Von einem Koch, der dafür bekannt ist, dass er schon mal Gerichte wie gelierte Kalbsschwanzessenz mit Rauchspeckparfait auf einem iPad serviert, auf dem eine Lichtinstallation abgespielt wird, erwartet man sonst kaum Sätze, wie «Ich stehe auf einfache Zutaten. Gurken, Tomaten, Zwiebeln, Mais.» Für Caminada steht die sinnliche Erfahrung beim Essen im Mittelpunkt. Das Produkt sei der Star und damit dies zur Geltung komme, sei ein gewisser Aufwand nötig, den man auch erkennen soll. «Ein Gericht ist für mich vollendet, wenn das Zusammenspiel stimmt, die Ebenen, Nuancen und Charaktere der Aromen, wenn Säure und Würze harmonieren und der Eigengeschmack des Produkts zur Geltung kommt.»

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Konzentrierte Ruhe

Und so sieht Einfachheit à la Caminada aus: Seinen Bieler Gästen serviert er Kartoffelstock. Eigentlich nichts weiter als gestockte Kartoffelcrème – nur kommt diese beim Bündner abgeflämmt und mit Trüffel drapiert in Form einer Crème brûlée auf den Tisch. Oder Kopfsalat und Gurke, die vermählt in Form einer kunstvoll arrangierten Kaltschale zum Gast gelangen. Beträchtlich auch der Aufwand, den Caminada beim Lamm betreibt. Da wird der Lammbauch in Salzlauge eingelegt, im eigenen Fett geschmort, nachgegart und mit Sanddorn und eingelegtem Wurzelgemüse serviert. Zur gebeizten Forelle aus dem Walensee gesellen sich Karotten in Gestalt einer marinierten Crème.

Bedächtig schreitet Andreas Caminada durch die mit Edelstahl verkleideten Korridore der Küche, hält von Zeit zu Zeit inne, zückt den Löffel und probiert. Aus jedem Topf, jeder Pfanne, jeder Schüssel – Abschmecken bleibt Chefsache. «Unheimlich ruhig», entfährt es ihm beim Betrachten seiner konzentriert arbeitenden Köche. Ob das ein gutes Zeichen ist? «Ja, normalerweise schon», sagt er, wenn man derart gut ausgebildete und motivierte Leute auf seiner Seite wisse, seien chaotische Zustände in der Küche eine Seltenheit. Caminada als Chef ist präsent, aber nicht überpräsent, er dirigiert, aber ohne Befehlston. Mal greift er zur Sauteuse, mal richtet er Häppchen an, es gibt in Caminadas Reich keine Aufgabe, die einzig dem Meister selbst vorbehalten wäre – von der finalen Verkostung einmal abgesehen.

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Einfachheit, auch zuhause

Was die Kritiker des Gault Millau regelmässig zu einem wahren Sermon an Lobpreisungen verleitet, sind Caminadas Apérohäppchen und Amuse-bouches. In der «Residenz au Lac» kredenzt er den Gästen Bloody-Mary-Pralinen, mit Rindstatar gefüllte Cornets, Macarons mit Gänseleber und Zitrone, sowie «Airbread», also Luft-Brot, das wie ein filigran gearbeiteter Stein aussieht und ein Innenleben aus Kräutercrème besitzt. Wie kommt man nur auf solche Ideen? «Kreativität ist nicht planbar», sagt Caminada. Für ihn spiele es zuallererst eine Rolle, wann welches Produkt verfügbar ist. «Ich denke immer vom Produkt her, stelle mir die Frage, was ich damit machen kann, welche Nuancen ich hervorheben möchte.»

Mit Vergnügen stellt sich Andreas Caminada auch bei sich zuhause an den Herd – allerdings nicht mit demselben künstlerischen Anspruch. Die Einfachheit jedoch bleibt. Da darf es gerne ein Stück Fleisch vom Grill sein, mit einem guten Salat oder einer Ofenkartoffel. «Es braucht gar nicht viel, ein guter Essig, ein gutes Salz, damit kann man alles raushauen.» Oder des Meisterkochs liebste Verlockung: Ein Güggeli, frisch aus dem Ofen, «das mache ich aber nicht selber, das überlasse ich gerne meiner Frau.»

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(Bieler Tagblatt 21.10.2015)