In der Spitzengastronomie boomt die Feuerküche: Lebensmittel werden bewusst verkohlt oder mit Asche gewürzt. Diese vermeintliche Innovation ist nichts weniger als die Wiederentdeckung einer jahrtausendealten Kulturtechnik.
Es ist eine kulinarische Binsenweisheit: Lässt man ein Gericht anbrennen, ist es ziemlich sicher ruiniert. Daher, ja nichts anbrennen lassen! Das klingt zwar einleuchtend, ist aber nach jetzigem Verständnis restlos überholt, wie ein kurzer Blick in die Spitzenküchen dieser Welt zeigt. Dort sind Zubereitungen mit offenem Feuer, Glut und Asche längst nichts Besonders mehr: Beim Argentinier Francis Mallmann, vielen bekannt aus der Netflix-Serie „Chefs Table“, bei Niklas Ekstedt in Stockholm oder bei Bittor Arginzoniz aus dem Baskenland, dessen Restaurant „Asador Etxebarri“ kürzlich auf Platz 10 der Liste der „The World’s 50 Best Restaurants“ gewählt wurde, hat die Feuerstelle den Kochherd komplett verdrängt. Der belgische Sternekoch Kobe Desramaults lässt Sellerieknollen stundenlang über offenem Feuer verbrennen; ein Signature Dish von René Redzepi ist nicht weniger archaisch: Man nehme eine Stange Lauch, schmeisse sie auf den Grill, bis sie richtig verkohlt ist und schneide sie dann auf. Das Innere herausnehmen, mit Thymian würzen und zusammen mit Fischrogen wieder in die Lauchstange zurückgeben. Das ist so simpel wie raffiniert, und es schmeckt rauchig, herb und süss zugleich. Neu ist das freilich nicht. In Katalonien grilliert, beziehungsweise verbrennt man seit Jahrhunderten Calçots, eine Art Lauchzwiebel, auf offenem Feuer, schält dann die verbrannte Haut ab und geniesst das perfekt gegarte Innere mit einer würzigen Sauce und gegrilltem Fleisch. Was die Spitzenköche hier gerade mit so viel Elan wiederentdecken und feiern, ist denn auch nichts weiter als eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit – die Fähigkeit, Feuer zu beherrschen und damit zu kochen.
Direkt in die Glut
Das erklärt auch das Erfolgsrezept dieser Methode. „Faszinierend am Kochen mit direkter Hitze ist die Tatsache, dass es so bestechend einfach funktioniert.“, sagt Valentin Diem. Einer der es wissen muss; 2014 machte Diem Furore mit seinem Pop-Up-Restaurant „Wood Food“ und zwei Jahre später mit dem gleichnamigen Kochbuch, wo es ihm darum ging, Holz in all seinen Dimensionen und Aggregatszuständen – ätherisches Öl, Kohle, Harz, Teer, Asche und Rauch – kulinarisch auszureizen. Der direkte Kontakt mit der Glut spielt dabei eine zentrale Rolle. Über 1000 Grad heiss kann diese werden. Da haben Elektroofen und Gasgrill schnell das Nachsehen. Direkte Hitze, das heisst hier wirklich direkt, also ein unmittelbarer Kontakt mit der Glut. Die Lebensmittel landen tatsächlich inmitten der glühenden Wärmequelle, mit dem Ziel, sie rundum zu verkohlen und im Inneren zu garen. Das funktioniert allerdings nur, wenn das Gargut immer wieder gewendet wird, es sei denn man bedeckt es komplett mit der Kohle. Der Trick dahinter: Dort, wo die Lebensmittel auf der Glut aufliegen, fehlt die Sauerstoffzufuhr und die Temperatur fällt ab. Ideal dafür geeignet ist alles, was eine Hülle oder Schale hat, vor allem Gemüse, lässt es sich doch nach einer kurzen Ruhezeit ohne weiteres aus dem verkohlten Mantel befreien. Das mag äusserlich ziemlich spektakulär wirken, ist aber weitaus mehr als blosse Show. Die direkte Hitze hat nämlich einen enormen, einzigartigen Einfluss auf den Geschmack. Dass bittere und rauchige Aromen auftreten, ist einleuchtend, verbrannt schmeckt es allerdings nicht. Vielmehr tritt eine süssliche Nuance in den Vordergrund, die eine hervorragende Balance zur Rauchigkeit schafft. Besonders bei Randen, Knollensellerie oder Zwiebeln, aber auch bei Blumenkohl klappt das exzellent, doch Valentin Diem empfiehlt, auch mal Zitrusfrüchte in die Glut zu legen. Unter regelmässigem Wenden beginnen diese nämlich intensiv ätherisch zu duften und verlieren ihre Säure. Und wer eine ganze Knoblauchknolle unter regelmässigem Wenden etwa 25 Minuten verkohlt, etwas auskühlen lässt und schält, wird belohnt mit einer weichen, süssliche Creme, ein Gedicht zu rotem Fleisch, vor allem zu Lammgigot.
Apropos Fleisch. Schon einmal von einem „Dirty Steak“ oder „Caveman Steak“ gehört? Das ist die direkteste, einfachste und auch archaischste Art, ein Steak zuzubereiten. Das Fleisch wird direkt und ungeschützt auf die glühenden Kohlen gelegt. Das klingt gewagt, gar unvernünftig, doch es klappt tatsächlich: Auf den Kohlen entsteht auf der Aussenseite des Fleisches bei hoher Hitze die begehrte Maillard-Aromatik. Da immer noch etwas Asche dabei ist, fügt das eine besondere Würze hinzu. Aber Vorsicht: Kohle-Briketts enthalten Binde- und Klebemittel und eignen sich deshalb nicht, da sie einen benzin-artigen Geschmack hinterlassen würden. Das Feuer muss ganz herunterbrennen, bis die Glut mit einer hellgrauen Ascheschicht überzogen ist. Das Fleisch fest auf die Glut drücken, nur so kommt kein Sauerstoff dazu, und die Temperatur sinkt sofort stark ab. Das Steak verbrennt auf diese Weise nicht, sondern gart schön gleichmässig.
In Asche gereift
In Bezug auf Fleisch lässt sich Asche noch anderweitig nutzen. Holzasche wurde schon im Altertum zum Desinfizieren und Konservieren benutzt. Wissenschaftlich betrachtet ist sie der mineralhaltige Rückstand aus der möglichst vollständigen Verbrennung von Holz. Ein Hauptbestandteil, bis zu 24 Prozent, ist dabei Kaliumkarbonat, die sogenannte Pottasche. Wenn ausschliesslich mit Holz oder Naturholzkohle gefeuert wird, findet sich diese auch in der erwünschten Menge in Grill- oder Kaminasche. Pottasche ist hygroskopisch, das heisst, sie kann Wasser binden. In Wasser aufgelöst, wird sie alkalisch. Es sind diese beiden Eigenschaften, die für eine konservierende Wirkung sorgen, da sowohl der Entzug von Wasser als auch die Erhöhung des pH-Werts eine für die meisten Mikroorganismen lebensfeindliche Umgebung schaffen. Das kann man sich nun bei der Fleischreifung zunutze machen. Die trockene Holzkohlenasche nimmt den bei der Reifung austretenden Fleischsaft auf und entzieht dem Fleisch weiteres Wasser. Darüber hinaus hemmt sie Keime und aromatisiert das Produkt. In der Praxis sieht das dann so aus: Ein ganzer Rinderrücken wird nach der Totenstarre mit einer Mischung aus Buchenasche (es eignen sich aber auch Apfel, Kirsche, Esche oder Kastanie), Pfeffer, Salz und Gewürzen eingerieben und dann in diesem Mantel über mehrere Wochen knochengereift. Danach wird das Fleisch zugeschnitten und mitsamt dem Aschemantel verkauft. Ergebnis ist ein tiefrotes, wunderschönes Fleisch von leicht fester Konsistenz, das gleichmässiger reift als bei herkömmlicher Knochenreifung und einen intensiven Eigengeschmack mit einer leichten Rauchnote besitzt. Das liesse sich in etwas abgewandelter Form und mit dem nötigen Equipment auch in der heimischen Küche bewerkstelligen: Einfach ein Kilogramm Holzkohle fein mörsern und mit 14 Gramm Salz mischen. Ein Kilogramm Roastbeef grosszügig damit bedecken und vakuumieren; 14 Tage reifen lassen bei konstant niedriger Temperatur. Herausnehmen, die Asche abstreifen, das Fleisch vakuumieren und bei 56 Grad Celsius 2h sous-vide garen. Scharf anbraten, etwas ruhen lassen und dann tranchieren. Wer sich zuerst vom Geschmack überzeugen möchte, kann dies beispielsweise im Belvoir Restaurant & Grill in Rüschlikon am Zürichsee. Oder man bestellt es beim deutschen Metzger Dirk Ludwig, der sich in der Nähe von Fulda auf die Aschereifung spezialisiert hat.
Auch wenn die Asche bei auf diese Weise gereiftem Fleisch nicht mitgegessen werden sollte, lässt sie sich dennoch gut als Würzmittel einsetzen. Der französische Morbier-Käse wird schon seit über 200 Jahren mit einer Ascheschicht im Kern verfeinert. 2‑Sterne-Koch Sebastian Frank hat in seinem Restaurant „Horváth“ in Berlin-Kreuzberg regelmässig mit Lauchasche gewürzte Gerichte auf der Karte, auch Holzkohleöl und Holzkohlemayonnaise kommen regelmässig zum Einsatz. Enorm wichtig ist jedoch die Dosierung: In geringen Mengen bereichern die sanften Raucharomen das Geschmacksbild ungemein, eine Überdosis jedoch ruiniert alles und tötet jeglichen Wohlgeschmack – Friede seiner Asche.
Rindsfilet in der Lauchasche
Für 4 Personen:
- 4 Rindsfiletmedaillons à 300 g (idealerwiese Wagyu)
- Salz & Pfeffer aus der Mühle
- 1 Prise Zucker
Lauchasche (1 Tag vorher zubereiten)
- 6 Stangen junger Lauch
- 1 L Salzwasser (5 EL Meersalz aufgelöst in 1L Wasser)
- 1 TL abgeriebene Limettenschale
Lauchasche:
Lauch sorgfältig waschen und 1h in das Salzwasser legen. Danach auf dem Grill bei mittlerer Hitze rösten, bis der Lauch komplett trocken ist. Weitere 3h indirekt grillieren, bis er komplett schwarz ist. Einen Tag an einem trockenen Ort lagern. Am nächsten Tag mit dem Mörser fein zerstossen und mit dem Limettenabrieb vermengen.
Die Medaillons mit Salz, Pfeffer und Zucker würzen. Jeweils 1 Minute bei direkter Hitze grillieren, dann vom Feuer nehmen. Etwas abtupfen und in der Lauchasche wälzen, bis das Fleisch von allen Seiten schwarz eingefärbt ist. 5 Minuten bei indirekter Hitze zu Ende garen.
Verkohlter Lauch
12 Lauchstangen pro Person
Die Stangen putzen und waschen. ⅔ des Grüns abschneiden (wird nicht verwendet). Den Lauch in die sehr heisse Glut legen. Regelmässig wenden (alle 2 Minuten). Nach 810 Minuten den Lauch an den Rand der Glut schieben und bei indirekter Hitze eine Viertelstunde zu Ende garen. Die verkohlte Schicht abstreifen und das gegarte Innere warm servieren.
Ideal als Beilage zu Fleisch oder als Vorspeise mit Dipsaucen.
(Schweiz am Wochenende, 21.07.2018)