«Fermentation kennt keine Grenzen»

Zu Gast bei David Zil­ber im Fer­men­ta­ti­ons­la­bor des welt­be­rühm­ten Restau­rants «Noma» in Kopenhagen.

«Was ist der Unter­schied zwi­schen fer­men­tie­ren und ver­fau­len las­sen?», fragt David Zil­ber in die Run­de. «Es ist wie die Schlan­ge vor einem Nacht­club für Bak­te­ri­en; in den Fäul­nis-Club kom­men alle rein, egal ob gesund oder unge­sund, geschmacks­för­dernd oder –ver­der­bend.» Jetzt kommt der Kana­di­er, der gut und ger­ne als Snoop-Dog-Dou­ble durch­ge­hen könn­te, rich­tig in Fahrt: «Wer fer­men­tiert, ist wie ein Tür­ste­her, der die uner­wünsch­ten Mikro­or­ga­nis­men abweist und die erwünsch­ten rein­lässt – Will­kom­men im Club!»

Kopen­ha­gen im Herbst 2019; edel­stahl­ver­klei­de­te Ober­flä­chen, Mikro­sko­pe, Inku­ba­to­ren, Petri­scha­len: Defi­ni­tiv kein Club, son­dern ein zwei­fels­frei ein Labor, aber eines, dass es so auf der Welt viel­leicht nur ein­mal gibt. David Zil­ber lei­tet zu die­sem Zeit­punkt das Fer­men­ta­ti­ons­la­bor des welt­be­rühm­ten «Noma» und ist damit wohl welt­weit füh­rend in der Anwen­dung der Fer­men­ta­ti­on in der Spit­zen­gas­tro­no­mie. Dem «Noma» und der neu­en nor­di­schen Küche ist es zu ver­dan­ken, dass sich die Kunst der Fer­men­ta­ti­on in den letz­ten 15 Jah­ren zu einem kuli­na­ri­schen Mega­trend ent­wi­ckelt hat. Das täuscht jedoch ein wenig dar­über hin­weg, dass es sich dabei um eine der ältes­ten Kul­tur­tech­ni­ken der Welt handelt.

Was also ist Fer­men­ta­ti­on? «Sim­pel gespro­chen ist es nichts ande­res als die Umwand­lung von Lebens­mit­teln durch Mikro­or­ga­nis­men wie Bak­te­ri­en, Hefen oder Schim­mel­pil­ze», so David Zil­ber, «und das kennt kei­ne Gren­zen!» In der Tat: Das Fer­men­tie­ren gehört zur däni­schen Küche genau­so wie zur ita­lie­ni­schen, japa­ni­schen oder chi­ne­si­schen: Ohne Fer­men­ta­ti­on kein Sau­er­teig­brot, kein Mat­jes­he­ring, kein Par­me­san, Bier oder Wein, kein Kim­chi, Sau­er­kraut, ein­ge­leg­tes Gemü­se oder Soja­sauce. Und kein Noma. In einem Noma-Menü gibt es kein ein­zi­ges Gericht, das nicht irgend­ei­ne fer­men­tier­te Zutat ent­hält. Aus rei­nem Selbst­zweck? «Nein», sagt Chef­koch René Red­ze­pi, «Fer­men­ta­ti­on soll bei uns nicht für einen bestimm­ten Geschmack sor­gen, es soll den Eigen­ge­schmack ver­stär­ken.» Es geht um Uma­mi, die­sen schwer zu defi­nie­ren­den, poten­zi­ell süch­tig machen­den Geschmack von Lebens­mit­teln wie Pil­zen, Toma­ten, Par­me­san, Fleisch und Soja­sauce. Und vie­les davon wäre nicht mög­lich ohne Koji.

Koji, das ist die­ser Schim­mel­pilz, der in feucht­war­mem Mil­lieu auf gekoch­tem Getrei­de wächst und dem wir Errun­gen­schaf­ten wie Miso, Reis­essig, Soja­sauce oder Sake zu ver­dan­ken haben. «Koji ist Magie», sagt David Zil­ber ehr­fürch­tig, wäh­rend er die pul­ver­för­mi­gen Pilz­spo­ren mit einem Sieb in einem Blech gekoch­ter Gers­te ver­teilt und ein­ar­bei­tet. Wo die Japa­ner Reis nut­zen, arbei­tet man im «Noma» mit Roll­gers­te. Das geimpf­te Getrei­de kommt wäh­rend 48h in eine Kam­mer mit 30 Grad Cel­si­us und 70 bis 75 Pro­zent Luft­feuch­tig­keit, dann kann man sein Roll­gers­ten­ko­ji – mitt­ler­wei­le mit herr­lich weis­sem Flaum – ern­ten. Im «Noma» ist es eine uner­läss­li­che Grund­zu­tat für Misos, Sho­yus und Garums, denn es beschleu­nigt die Fer­men­ta­ti­on und ist per­fekt, um Uma­mi zu extra­hie­ren. Miso aus gel­ben Erb­sen? Dank Koji kein Pro­blem: Gekoch­te, geschro­te­te Gel­berb­sen, Koji abwie­gen, ⅔ vom Gewicht der Erb­sen, eben­falls schro­ten, alles mit Salz (4 Pro­zent des Gesamt­ge­wichts) ver­mi­schen und dicht in ein Gefäss ein­schich­ten, abde­cken, beschwe­ren, mit einem luft­durch­läs­si­gen Tuch decken und min­des­tens 3 Mona­te fer­men­tie­ren las­sen. Das­sel­be auch bei Garum, all­ge­mein vor allem in Form von thai­län­di­scher Fisch­sauce bekannt, im Grun­de genom­men ein Gemisch aus Fisch, Salz und Was­ser, das man einer kon­trol­lier­ten Zer­set­zung über­lässt: Aber war­um Fisch neh­men, wenn man auch Wild­fleisch neh­men kann? Wir mischen gehack­tes Wild­schwein­fleisch, Roll­gers­ten­ko­ji, Was­ser und Salz. Nach 10 Wochen Fer­men­ta­ti­on bei 60 Grad ent­steht eine unglaub­lich flei­schi­ge Würz­sauce, Mag­gi für Gourmets!

Das sind nur zwei «ein­fa­che» Bei­spie­le. Wer ein­mal das Glück hat, im «Noma» essen zu dür­fen, wird es kaum glau­ben, was im Bereich Fer­men­ta­ti­on alles mög­lich ist. Nur schon die Expe­ri­men­te mit ess­ba­rem Schim­mel, etwa die­ser grü­ne Spar­gel: leicht blan­chiert, sous vide in schwar­zem Johan­nis­beer­holz­öl, bevor er leicht getrock­net und mit Pilz­spo­ren geimpft wird. Dann bei 28°C und 70% Luft­feuch­tig­keit in den Inku­ba­tor, sodass die Tex­tur geschmei­dig, der Geschmack inten­si­viert und der Spar­gel in eine Decke aus plü­schi­gem Myzel gehüllt wird. Ser­viert mit einem Salat aus Wild­kräu­tern der Sai­son und einer Sau­ce aus Kür­bis­ker­nen und gerös­te­ter Hefe schmeckt es umwer­fend inten­siv, lak­tisch, vege­ta­bil, frisch und gleich­zei­tig vor Uma­mi strot­zend. Beein­dru­ckend, den­noch ist David Zil­ber über­zeugt: «Wir ste­hen erst am Anfang.»

(KOCHEN 11–2020)