Die Zukunft kocht nachhaltig

Jeweils im Janu­ar trifft sich die Kocheli­te an der «Madrid Fusión», dem wich­tigs­ten Gas­tro­no­mie­kon­gress der Welt, um sich über die neus­ten Ent­wick­lun­gen und Trends aus­zu­tau­schen. Die Aus­ga­be 2020 stand klar im Zei­chen der Nachhaltigkeit.

Seit 2003 gehört die in der spa­ni­schen Haupt­stadt statt­fin­den­de Gas­tro-Mes­se zu den wich­tigs­ten Ver­an­stal­tun­gen der kuli­na­ri­schen Welt. Wie kann die Zukunft der Gas­tro­no­mie aus­se­hen? Wie wird sich unser Umgang mit Lebens­mit­teln ver­än­dern? Wel­che neu­en Tech­ni­ken wer­den mög­li­cher­wei­se unse­re Ess­ge­wohn­hei­ten beein­flus­sen? Es sind teil­wei­se gewich­ti­ge Fra­gen, die in Madrid zu beant­wor­ten ver­sucht wer­den. Und was geht mich das als «gewöhn­li­cher» Kon­su­ment an, was ein paar eli­tä­re Spit­zen­kö­che in ihren Labor­kü­chen ersin­nen? Auch wenn man es viel­leicht nicht wahr­ha­ben möch­te: Aber die Spit­zen­kö­che hat einen grös­se­ren Ein­fluss auf die kuli­na­ri­sche «Nor­ma­li­tät», als man gemein­hin wahr­ha­ben möch­te. Nur zwei Bei­spie­le: Sous-vide-Garen war bis vor ein paar Jah­ren eine Tech­nik, die nur in der Ster­ne­kü­che zu fin­den war – heu­te ist der Markt für sol­che Gar­ge­rä­te regel­recht am Explo­die­ren. Oder noch kras­ser: Als 1987 der fran­ko-ame­ri­ka­ni­sche Spit­zen­koch Jean-Geor­ges Von­ge­rich­ten in New York auf die Idee kam, sei­nen Gäs­ten ein war­mes Scho­ko­la­den­küch­lein mit flüs­si­gem (!) Kern zu ser­vie­ren, war die­ses Spiel mit Tex­tu­ren und Tem­pe­ra­tu­ren eine Sen­sa­ti­on im High-End-Bereich – heu­te sind Des­serts die­ser Art auf gefühlt jeder zwei­ten Spei­se­kar­te zu fin­den. Daher darf man durch­aus etwas genau­er hin­schau­en, wel­che Dis­kus­sio­nen die Kocheli­te Jahr für Jahr beschäftigt.

Eines der wich­tigs­ten The­men an der Madrid Fusión» 2020 war die Nach­hal­tig­keit. Denn egal ob Rin­der­zucht oder Fisch­fang; unse­re Res­sour­cen sind begrenzt und ange­sichts der Pro­ble­me, mit wel­cher sich die Lebens­mit­tel­pro­du­zen­ten in Zei­ten des Kli­ma­wan­dels kon­fron­tiert sehen, sind neue Stra­te­gien und Tech­ni­ken gefragt, um nach­hal­ti­ger zu kochen. Wäh­rend gewis­se Kon­zep­te noch etwas gar futu­ris­tisch anmu­ten – Ivan und Ser­gey Bere­zuts­kiy vom «Twins Gar­den» in Mos­kau demons­trier­ten etwa, wie man einen Tin­ten­fisch kom­plett mit­tels eines 3D-Dru­ckers «her­stel­len» kann – sind ande­re Ansät­ze um eini­ges prag­ma­ti­scher. Dry-Aging, also die im Moment so hoch im Kurs ste­hen­de Tro­cken­rei­fung von (zumeist) Rind­fleisch garan­tiert zwar Fleisch von her­vor­ra­gen­der Aro­ma­tik, pro­du­ziert aber auch jede Men­ge Abfall, da durch die lan­ge Rei­fung bis zu 30% Gewichts­ver­lust ent­ste­hen, näm­lich durch die Ent­wei­chung der Feuch­tig­keit und den Abschnitt der äus­se­ren Krus­te. Das macht das Dry-Aged-Fleisch unter ande­rem so teu­er. Jere­my Chan vom Restau­rant Ikoyi in Lon­don prä­sen­tier­te in Madrid einen erheb­lich nach­hal­ti­ge­ren Ansatz: Indem er in der Anfangs­pha­se das Fleisch einem wesent­lich höhe­ren Anteil an Feuch­tig­keit und Tem­pe­ra­tur aus­setzt, wird der Rei­fungs­pro­zess enorm beschleu­nigt. Was mit her­kömm­li­chen Rei­fe­schrän­ken gut und ger­ne zwei Mona­te dau­ert, schafft Chan in nur zwei Wochen. Resul­tat ist enorm geschmacks­in­ten­si­ves Fleisch, fast ohne Abfall und Gewichtsverlust.

Eine der revo­lu­tio­närs­ten Ein­sich­ten: Was mit Fleisch funk­tio­niert, klappt auch beim Fisch! Josh Nil­and, Chef­koch im Restau­rant Saint Peter in Syd­ney, den man auch unter dem Namen «Fischmetz­ger» kennt, ist ein Pio­nier, was die Rei­fung von Fisch angeht. Das mag sich erst­mal unlo­gisch anhö­ren, denn bis­lang galt bei Fisch immer das Cre­do je fri­scher, des­to bes­ser. Für Nil­and ein über­hol­tes Dog­ma. Denn um einem Fisch sein urei­ge­nes Aro­ma zu ent­lo­cken, braucht es nach der Ansicht des Aus­tra­li­ers Zeit. Also ent­zieht er ihm mit­tels eines in jah­re­lan­ger Ver­suchs­ar­beit aus­ge­tüf­tel­ten Ver­fah­rens das Was­ser. Dafür schnei­det Nil­and die äus­sers­te Haut des Tie­res run­ter (das Ent­schup­pen ent­fällt damit), wickelt den Fisch in ein Feuch­tig­keit auf­sau­gen­des Papier und lässt ihn – ana­log dem Dry-Aging – bei nied­ri­ger Tem­pe­ra­tur und einer Luft­feuch­tig­keit bis 80 Pro­zent meh­re­re Wochen tro­cken rei­fen. «Tro­cken» kann dabei nicht stark genug betont wer­den, denn Was­ser, bzw. Feuch­tig­keit ist der natür­li­che Feind des Fisches, weil es einen Nähr­bo­den für Bak­te­ri­en bil­det. «Hört auf, euren Fisch auf Eis zu legen!», betont Nil­and immer wie­der, denn Eis sei mass­geb­lich dafür ver­ant­wort­lich, dass das Pro­dukt schlecht wird. Erst dadurch ent­steht auch der berühmt-berüch­tig­te Fisch­ge­ruch; «guter Fisch riecht nicht!» Die Tro­cken­rei­fung hilft nicht nur, die Halt­bar­keit zu ver­län­gern und den opti­ma­len Geschmack her­aus­zu­ar­bei­ten, son­dern auch die Tex­tur; beim Bra­ten wird viel bes­ser, sprich, die Haut wird spür­bar knusp­ri­ger. Neue Wege beschrei­tet der Fischmetz­ger auch bei der Ver­ar­bei­tung. Wenn man Rin­der und Schwei­ne Nose-to-tail ver­ar­bei­ten kann, war­um nicht auch Fisch?

In sei­nem bahn­bre­chen­den Werk «The Who­le Fish Cook­book ebnet Josh Nil­and der Fisch­zu­be­rei­tung radi­kal neue Wege. Für den Autor ist das nur logisch, aber auch eine Ver­pflich­tung: Im Zeit­al­ter von Food­was­te und über­fisch­ten Gewäs­sern kön­nen wir es uns eigent­lich nicht mehr leis­ten, nur knapp 40 Pro­zent des Fisches zu essen (die Grä­ten, Köp­fe und Inne­rei­en lan­den ent­we­der im Abfall oder enden als Fisch­mehl). Das Ziel von Nil­and sind hin­ge­gen 90 Pro­zent. Gebra­te­ne Fisch­le­ber, frit­tier­te Fisch­zun­ge oder eine Ter­ri­ne aus dem Kopf, das mag gewöh­nungs­be­dürf­tig klin­gen, aber wenn es doch schmeckt, «wo liegt das Pro­blem?», fragt der Aus­tra­li­er. Es sei auch schlicht eine Fra­ge des Respekts vor dem Fisch, sich nicht nur ein­fach mit den Filets zu begnü­gen. «Wenn das kuli­na­ri­sche Poten­zi­al von Fischin­ne­rei­en end­lich rich­tig gewür­digt wird, könn­te man die Fang­men­gen um ein viel­fa­ches ver­rin­gern.» Dass Josh Nil­and mit die­ser Posi­ti­on nicht allein steht, war auch in Madrid zu mer­ken. Der Koch der Koji Kimu­ra zeig­te, dass man im fisch­ver­rück­ten Japan die­sen Ideen sehr auf­ge­schloss­sen gegen­über­steht und Mario San­d­oval vom Restau­rant «Coque» in Madrid ver­blüff­te mit Sau­cen und Emul­sio­nen auf der Basis von Thun­fisch-Augen und Thun­fisch-Kno­chen­mark. Gut mög­lich also, dass Fisch­the­ken in Zukunft mit einem erwei­ter­ten Sor­ti­ment aufwarten.

(KOCHEN 4–2020)