Mehr als nur Wacholder

Die Brennerei Matter-Luginbühl gehört zu den wenigen Schweizer Herstellern von Gin. Noch ist der Seeländer «Nutmeg Gin» aber ein Nischenprodukt. Der Gin-Boom könnte das ändern.

Es ist bekannt, dass Elizabeth Bowes-Lyon, genannt «Queen Mum», sich täglich ein Glas Gin genehmigte. In Form eines Gin-Tonics genoss sie ihn bis ins hohe Alter von 101 Jahren. Bis vor kurzem war das Sprechen über Gin ein Sprechen in Anekdoten; Gin, Genever, hochprozentiges Wacholderdestillat, ältere Damen und Herren mit Longdrinks in klassischen Pianobars, very british und eben ein wenig verstaubt.
Diese Zeiten gehören jedoch definitiv der Vergangenheit an. Gin erlebt eine lange nicht mehr dagewesene Popularität, eine wahre Renaissance, Gin boomt. «Vor zehn, fünfzehn Jahren gab es in den Bars höchstens drei Sorten Gin, heute sind es bis zu dreissig», sagt Oliver Matter, Inhaber der Brennerei Matter-Luginbühl in Kallnach. Matter kennt sich aus, denn der Seeländer gehört zu den wenigen Schweizer Produzenten, die Gin destillieren.
Breites Spektrum an Aromen
Ein nebliger Vormittag in Kallnach. Dicke Schwaden dimmen das Licht der Sonne, die Felder sind in Grautöne gehüllt, die Bäume erscheinen in gespenstischen Silhouetten. In der Destillerie wabert das dumpfe Dröhnen der Brennblasen. In der Nase der schwere, ölige Duft von Anis, Fenchel, Wermut und Alkohol. Im Moment wird Absinthe gebrannt, darauf hat man sich hier spezialisiert.
2010 hat Brennmeister Oliver Matter erstmals begonnen, mit Gin zu experimentieren. «In der Herstellung sind sich Gin und Absinthe sehr ähnlich», sagt Matter. Die Basis eines Gins ist hochprozentiger Agraralkohol, meist auf Basis von Getreide. In ihm werden Kräuter, Gewürze oder auch Früchte eingelegt. Durch sie erhält die Spirituose einen individuellen Geschmack. Nach einer erneuten Destillation wird er mit Wasser auf Trinkstärke gebracht. Gin muss mindestens  37,5 Prozent Alkohol enthalten, meist aber enthält er 40 bis 47 Prozent. «Früher waren nur ein paar bekannte Marken erhältlich, alle gleich strukturiert, mit deutlicher Wacholdernote. Gin ist aber mehr als nur Wacholder, er bietet ein sehr breites Spektrum an Aromen», so Matter. Und weil die Brennerei in Kallnach zunehmend Spirituosen für die Barszene produziert, ist ihr auch der Gin-Trend nicht entgangen.
London Gin aus Kallnach
Im letzten Jahrzehnt sind Gins in den vielfältigsten Geschmacksrichtungen auf den Markt gelangt. Von Rosmarin, Thymian, Lavendel und Hibiskus ist bis hin zu Safran und Gurke jedes Aroma erhältlich.
Auch der Vertreter aus dem Seeland muss sich hinsichtlich Originalität nicht vor der Konkurrenz verstecken. Denn das prägende Element von «Matters Nutmeg Gin» ist – wie der Name schon sagt – die Muskatnuss. Warum ausgerechnet Muskat? Muskatnuss sei traditioneller Bestandteil vieler Bitterliköre, so  Oliver Matter, ihr Geschmack füge sich hervorragend ein. Einzig die Dosierung sei heikel, da das Aroma sehr intensiv sein könne.
Beim «Nutmeg Gin» handelt es sich um einen London Dry Gin. Auch wenn es der Name suggeriert: London Dry Gin ist keine Herkunftsbezeichnung und muss nicht aus der englischen Hauptstadt stammen. Vielmehr verweist der Name auf das besondere Herstellungsverfahren, bei dem die aromatisierenden pflanzlichen Zutaten alle gleichzeitig dem Neutralalkohol zugegeben werden, bevor dieser einer weiteren Destillation unterzogen wird. Die nachträgliche Zugabe oder auch die Beimischung von künstlichen Aroma- oder Farbstoffen ist beim London Dry Gin explizit untersagt. Ebenso darf Zucker nur in geringen Mengen hinzugefügt werden.
Wacholderbeeren, Koriandersamen, Angelikawurzel, Zitrusschale und natürlich Muskatnuss geben dem «Nutmeg-Gin» seinen Geschmack. Dreifach destilliert enthält der Gin 44 Volumenprozent Alkohol. Bei der Verkostung fällt das aber weder in der Nase noch auf der Zunge auf. Leicht und frisch duftet er, mit deutlichen Zitrusnoten. Die Palette der Aromen ist am Gaumen vielschichtiger; hier dominieren Koriander und Muskatnuss, ohne aber die anderen Nuancen zu überdecken.
Die Grundlage der Rezeptur stammt aus einer «Rezeptesammlung für Destillateure» aus dem Jahr 1954. Solche Handbücher seien früher weit verbreitet gewesen, sagt Oliver Matter. Heute sei das nicht mehr üblich; zum Glück habe man eines aufbewahrt.
Klassische Barkultur
Mit einer Produktionsmenge von ungefähr 3000 Flaschen pro Jahr ist der Gin aus dem Seeland noch ein Nischenprodukt. Die Abnehmer sind in erster Linie Bars aus dem In- und Ausland. In der Schweiz wird er vor allem in Zürich, Basel und Bern ausgeschenkt. Und was ist mit Biel? Die Bieler Bars müssen den «Nutmeg Gin» erst noch für sich entdecken. «Das könnte daran liegen, dass sich in Biel die klassische Cocktailbar-Kultur noch nicht durchgesetzt hat», rätselt Matter, «,aber das wird garantiert noch kommen.»

(Bieler Tagblatt, 29.09.2014)