Auf den Punkt gegart

Oft gefürchtet, aber heiss begehrt der Gault Millau 2016 ist erschienen. «Tonis Ristorante» hat auf Anhieb die Bieler Spitzenposition erreicht. Andere Lokale im Seeland büssten hingegen Punkte ein.

«Jedes Jahr dieselbe Leier», könnte man spitzzüngig feststellen, wenn mit alljährlicher Regelmässigkeit der Gault Millau die mangelnde Dichte an Spitzenrestaurants in der Stadt Biel bemäkelt. Das ist auch in der 2016er-Ausgabe der roten Gourmet-Bibel nicht anders. Doch in den Reihen der Kritiker stellt man fest: «Die Bieler in ihrer mit guten Restaurants nicht eben gesegneten Stadt können sich freuen.» Grund für diese Freude sind die Brüder Daniele und Paolo Rappacchia, die mit ihrem «Tonis Ristorante» direkt mit 14 Gault-Millau-Punkten in die gastronomische Oberliga der Stadt eingestiegen sind. Vor über einem Jahr haben sie das Restaurant übernommen.

Ganz überraschend ist das nicht, führten die Rappacchias doch zuvor während zehn Jahren die «Auberge de lEtoile» in Courtion bei Avenches, wo ihr Schaffen bereits mit 14 Punkten gewürdigt wurde. Obwohl der Name «Tonis Ristorante» eindeutig nach italienischer Gaststätte klingt, lässt sich das Restaurant nicht ohne weiteres mit einer simplen Etikettierung versehen. «Natürlich, wir kochen mit Olivenöl, doch sind wir deshalb noch lange kein italienisches Restaurant», sagt Küchenchef Daniele Rappacchia. Im «Tonis» gebe es eine frische, hausgemachte Küche, saisonal und wenn möglich mit Produkten aus der Region. Die Inspiration stammt aus Italien und Frankreich.

Was der Chef empfiehlt, hat offenbar auch den Testessern des Gault Millau gemundet: Die Tagliatelle mit hausgeräuchertem Lachs seien ein Muss, ebenso die goldgelben Gnocchi, die zu geschmorter Lammhaxe gereicht werden. Der sämige Risotto mit Randenjus unter einer sautierten Foie gras garantiere einen «hübschen Mix von Texturen und Aromen.»

Bieler Spitze

Die gastronomische Spitzenposition kann «Tonis Ristorante»in Biel aber nicht für sich allein beanspruchen. Diesen Thron muss sich das Lokal mit der «Villa Lindenegg» und dem «Palace» teilen, die ebenfalls 14 Punkte erreicht haben. Obwohl der Jury das Konzept des «Lifestyle Restaurants» eher gewöhnungsbedürftig erschien «Café, Brasserie und Gourmetbereich gehen nahtlos ineinander über» gelang es dem «Palace», sich den 14. Punkt, den es im Vorjahr wegen einer massiven Kartenkürzung, fehlenden Highlights und zähen Lammgigot-Medaillons verloren hatte, wieder zurückzuerobern. Ein ehrlicher Umgang mit guten Produkten und kein Chichi zeichne die Küche aus, der sauber ausgelöste Rock Lobster an hervorragender Krustentiersauce mit Chili und Knoblauch versinnbildliche dies in bester Weise.

Die «Villa Lindenegg» konnte ihr hohes Niveau halten und überzeugte mit ihrem idyllischen Erscheinungsbild sowie einem wahren Reigen an lukullischer Fantasie. Kostprobe gefällig? Auf eine Variation von der Rande mit karamelisierten Baumnüssen folgte ein Zanderfilet mit süss-saurer Papaya, Mango, Tonkabohne und einem kleinen Winterspinatflan. Das Dessert, eine fruchtige Ananastarte mit subtil abgestimmter Fenchelglace fand bei der Kritik hundertprozentige Zustimmung.

Gelobte Fischküche

Fast unverändert präsentiert sich indes die Lage um den Bielersee. Das «L’Escarbot» in Le Landeron musste den einen Punkt, den es letztes Jahr dazu gewann, zwar wieder abgeben und landet bei 13 Punkten. Ihre Punkte halten konnten hingegen das «Fontana» in Twann (14 Punkte), das Restaurant «3 Fische» in Lüscherz (ebenfalls mit 14 Punkten) und das «Kreuz» in Gals (13 Punkte). Nicht ohne Tadel war für die Jury die Küchenleistung im Hotel «Fontana». Kritik erntete das an einem Wochenende nicht verfügbare Gourmetmenu, die mangelnde Raffinesse der Twanner Weinsuppe und trockenes Seeländer Gemüse zur gebratenen Hechttranche. Die mit Absinth verfeinerten Burgunderschnecken sowie die 18 Stunden gegarte Lammhaxe konnten das Ruder schliesslich noch herumreissen und Küchenchef Daniel Odermatt die im Vorjahr verdienten Punkte sichern. Erfolgsverwöhnt bleibt man in Lüscherz: «Guten Fisch am Bielersee, den kriegt man im Gasthof 3 Fische», so das Fazit. Ähnlich in Gals, wo die gebratenen Eglifilets und die frischen Spargeln aus Gampelen überzeugten. Das aus Australien eingeflogene Rindsfiletmedaillon hatte allerdings aus Sicht des Kritikers einen zu langen Reiseweg hinter sich.

Natur auf dem Teller

Längst kein Geheimtipp mehr ist das «Le Grillon» in Les Prés d’Orvin, das wiederum mit 15 Punkten bewertet wurde, und damit seine Konstanz unterstreicht. Dass dieses auf gut 1000 Metern Höhe zwischen Wiesen und Wald eingebettete Lokal nicht gerade urban gelegen ist, empfand der Kritiker mitnichten als Nachteil. Vielmehr zeigte man sich erfreut, dass man hier die Natur auf dem Teller geniessen könne, denn «hier kennt der Chef jeden Winkel und jedes Kraut.» Für «harmonisch» befand der Tester die Velouté von gelben Pepperoni mit Kokosmilch, Ingwer und Blütenblättern, «attraktiv» der grüne Salat mit Entenleber an Puffbohnensauce und violettem Basilikum, gar für «Begeisterung» sorgte ein perfekt gegarter, feiner Glattbutt. Einfach, leicht, von präziser Aromatik und originell zubereitet seien die Speisen von Küchenchef Daniel Jeandrevin.

Nach wie vor die beste Adresse im Seeland ist das Restaurant «Sonne» in Scheunenberg mit 17 Punkten, das seit über zehn Jahren von Iris und Kurt Mösching geführt wird.

Punkteverlust in Büren

Ein Bewertungskriterium ist nebst Kreativität auch die Konstanz der Küchenleistung. Dass die Kritiker in dieser Hinsicht sehr viel Strenge walten lassen können, musste das «Il Grano» in Büren auf schmerzliche Art und Weise erfahren.

Gewiss, das Lokal sei «aussergewöhnlich schön», nur vermöge die Küche in letzter Zeit mit dieser Umgebung nicht mehr mitzuhalten, monierte der Tester und stellte nicht ohne Bedauern einen Mangel an Fantasie und Mut zu Neuem fest. Dies am Beispiel der Antipasti, welche zwar immer noch sehr gut seien, aber «halt auch seit Jahren quasi die gleichen». Eine hervorragende frittierte Zucchiniblüte auf Spinat und Tomaten sowie eine gute Auswahl an italienischen Weinen vermochten das «Il Grano» jedoch nicht vor dem Punkteverlust bewahren. Das Restaurant ist nun noch mit 12 von 20 möglichen Punkten gelistet, was in der Gault-Millau-Terminologie soviel bedeutet wie «herkömmliche, gute Küche ohne besondere Ambitionen».

«Sonne» verteidigt Stern

Am Mittwoch erfolgte schliesslich eine weitere Runde gastronomischer Ritterschläge die heiss begehrten und fast noch mit grösserem Renommee behafteten Michelin-Sterne wurden vergeben. Nur, wer einen Blick in die Schweizer Ausgabe des Guide Michelin 2016 wirft, stösst im Sterne-Segment auf lediglich einen Namen aus dem Seeland. Es ist die «Sonne» in Scheunenberg, die ihren Stern erfolgreich verteidigen konnte. Mit nur einer Ausnahme scheint für die Region zu gelten: Punkte ja, Sterne nein.

Dennoch erfreulich aus Seeländer Sicht: Neben den Sternen verleiht Michelin noch eine weitere wichtige Auszeichnung, den «Bib Gourmand». Dieser wird an Restaurants vergeben, die eine sehr gute Küche zu einem günstigen Preis anbieten drei Gänge für nicht mehr als 65 Franken. In diese Liste geschafft haben es das Restaurant «Züttel» in Gerolfingen, das «Chappeli» in Grenchen, das «Le Grillon» in Les Prés‑d’Orvin sowie «Pfister’s Goldener Krug» in Suberg.

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Erfolgreiche Winzer

Von der Küche in den Keller: Auch in einer Nebenkategorie hat das Seeland Erfolge zu verbuchen. So hat die achtköpfige Weinjury des Gault Millau Martin Hubacher aus Twann sowie Charles Steiner aus Schernelz in die Reihen der 100 besten Schweizer Winzer 2016 gewählt. Die Kritiker zählen Martin Hubacher und Michaela Gabriel mit ihrem Johanniterkeller zu den «innovationsfreudigen Winzern der Drei-Seen-Region», dank «profundem Knowhow mit einer guten Portion Experimentierlust.» Hubachers Sauvignon blanc sei umwerfend, der Pinot blanc subtil, der Pinot noir elegant und der Saint-Laurent tiefgründig. Gar in der Champions League der Pinot noirs spiele der «Buurehöf» aus dem Hause Steiner Schernelz Village mit. Die Jury würdigte damit auch Charles Steiner als Pionier des Bielerseeweins, da er sich als einer der Ersten an den Barrique-Ausbau gewagt habe. Den Betrieb hat mittlerweile seine Tochter Sabine Steiner übernommen.

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Die «Gault-Millau»-Restaurants im Seeland

17 Punkte: «Sonne» in Scheunenberg (Wengi)
16 Punkte: «Hôtel du Cerf» in Sonceboz
15 Punkte: «Le Grillon» in Les Prés‑d’Orvin
14 Punkte: «Tonis Ristorante» in Biel (neu dabei), «Palace» in Biel (plus 1 Punkt), «3 Fische» in Lüscherz, «Chappeli» in Grenchen, «Hotel Fontana» in Twann, «Villa Lindenegg» in Biel
13 Punkte: «L’Escarbot» in Le Landeron (minus 1 Punkt), «Freudigers Hardern Pintli» in Lyss, «Kreuz» in Gals, «Opera Prima» in Biel, «Pfisters Goldener Krug» in Suberg, «Storchen» in Diessbach, «Waldschenke» in Bellmund
12 Punkte: «Curtovino» in Baggwil (Seedorf), «Grenchner Hof» in Grenchen, «Il Grano» in Büren (minus 1 Punkt)

(Bieler Tagblatt 09.10.2015)