„Wir sind dem Aufwachen nah, wenn wir träumen, dass wir träumen“, hat Novalis geschrieben, und um ebendiesen Novalis geht es en passant in Paolo Sorrentinos neustem Film „Youth“, zusammen mit einem Musiker, einem Filmemacher, einem Mönch und einer breiten Palette skurriler Gestalten. Zwei Jahre nach dem mehrfach preisgekrönten „La Grande Bellezza“ ist mit „Youth“ ein Werk entstanden, auf welches das Novalis-Zitat nur allzu gut passt, denn Sorrentino scheint seither nicht mehr aus der ästhetischen Traumwelt des Vorgängerfilms herausgefunden zu haben.
Die Geschichte, wenn man überhaupt von einer Geschichte sprechen kann, ist schnell erzählt: Der Komponist Fred Ballinger (Michael Caine) verbringt mit seinem alten Freund, dem Regisseur Mick Boyle (Harvey Keitel), ein paar Tage in einem Wellness-Hotel in den Schweizer Alpen. Die beiden sinnieren über das Leben, derweil sie mit grosser Neugier das das verwirrende Treiben der illustren Gesellschaft um sie herum beobachten. Unübersehbar die Anspielungen auf Thomas Manns „Zauberberg“ und Fellinis „Achteinhalb“: Der seiner Inspiration nachtrauernde Künstler flieht in ein Sanatorium in den Bergen und trifft dort auf weltentrückte Figuren, welche ihn über das eigene Selbst sinnieren lassen. Das Motiv der Kur trägt dabei den ganzen Film. Alles läuft auf Sparflamme, die Zeit der Ausschweifungen und Orgien ist vorüber. Die Zeit, als Fred der gefeierte Komponist war, der sich mit Strawinsky traf und sein Leben als Reigen sexueller Eskapaden führte, diese Zeit besteht nur noch als Erinnerung. Die Person Fred Ballinger, die in die Berge gereist ist, lebt in ständiger Furcht, sich irgendwann gar nicht mehr erinnern zu können. Das mehrmalige Flehen eines königlichen Abgesandten, seine berühmteste Komposition zu Ehren der Queen in London aufzuführen, zeigt bei dem in Resignation verfallenem Fred keine Wirkung.
An Psychologie scheint Sorrentino in „Youth“ freilich wenig Interesse zu haben, die Figuren bleiben irritierend eindimensional. Statt in die seelischen Abgründe seiner Protagonisten abzutauchen, bleibt der Film blosse Oberfläche, eine reine Bühne, auf welcher eine skurrile Episode auf die nächste folgt. Da ist diese Drehbühne im Garten des Sanatoriums, auf welcher jeden Abend neue Musiker wie Aufziehpuppen ihre Darbietung abspielen; eine geheimnisvolle Frau im Schleier, ein scheinbar stummes aristokratisches Ehepaar, zwei Menschen, die sich zu verachten scheinen, aber anschließend wild in den Bergwäldern kopulieren; ein Diego Maradona-Verschnitt, nur doppelt so beleibt; alte Menschen, die wie Zombies oder gleichgeschaltete Roboter im Gleichschritt den Wellnessbereich des Hotels bevölkern; auf Spaziergängen wird über Novalis diskutiert; und zu guter Letzt sitzt auch noch Adolf Hitler persönlich am Tisch.
Natürlich, auch „La Grande Bellezza“ war grösstenteils fragmentarisch und nicht weniger ästhetizistisch. Doch waren die Fragmente kunstvoll ineinander verwoben, die Übergänge jeweils fliessend, leichtfüssig und schwelgerisch. Nur präsentiert sich dieses „L’art pour l’art“ in „Youth“ bloss noch als kunstgewerbliche Nummernrevue, die lustlos einen cineastischen Kunstgriff nach dem anderen aus dem Hut zaubert. So als liesse sich bei Betrachtung des Films in Echtzeit beobachten, wie sich die ästhetische Grundidee zu Tode läuft. Es hat ganz den Anschein, als ob sich Sorrentino beim Plündern des eigenen Metaphernarsenals in den Windungen seiner artistischen Rumpelkammer verirrt hat. Und ehe ihm dabei die Puste ausgeht, verliert er sich bedauerlicherweise im Kitsch, etwa als er einen den ganzen Film über meditierenden buddhistischen Mönch in der Luft schweben lässt. Das ist umso beklagenswerter, als dass „Youth“ eigentlich hervorragend besetzt wäre. Caine und Keitel nimmt man die alternden Künstler und abgehalfterten Melancholiker von der ersten Sekunde ab, Jane Fondas Kurzauftritt als verwelkte Diva gehört gar zu den Höhepunkten. Nur das alleine ist zu wenig. Wer seinen Darstellern eine Bühne bieten möchte, sollte diese nicht mit einer barocken Fülle an Requisiten überladen.
(Basler Zeitung)